Aram Chatschaturjan

Zurück
t1 Konzertführer
Aram Chatschaturjan
Aram Chatschaturjan

Kodschori bei Tiflis, 24. Mai (6. Juni) 1903 – Moskau, 1. Mai 1978

Der sowjetisch-armenische Komponist studierte seit 1921 in Moskau, unter anderem bei Michael Gnessin, Nikolaj Mjaskowsky, Reinhold Glière und Sergej Wassilenko war 1934 bis 1936 Aspirant bei Mjaskowsky. Etappen seiner Durchsetzung und Bekanntheit waren seine Toccata für Klavier, 1932, und seine erste Symphonie anlässlich des fünfzehnten Jahrestages der Sowjetrepublik Armenien (1934). Weltweit bekannt wurde durch Lew Oborin sein Klavierkonzert (1936) und durch David Oistrach sein Violinkonzert (1940), während der ‚Säbeltanz‘ aus seinem Ballett Gajaneh bis in die Niederungen der Werbung drang; sein Violoncellokonzert (1946) vollendete die Triade seiner Instrumentalkonzerte. Die Musik Chatschaturjans spielt sich sozusagen im Dreieck dreier Einflusssphären ab. Da sind einmal seine tiefen Wurzeln in der Musikkultur seiner armenischen Heimat, der er sich auch in Moskau verbunden fühlte, wenn er für das dortige Haus der Armenischen Kultur arbeitete – aus dieser Sphäre dringen Melodien, Skalen und Rhythmen auch in seine Symphonik, freilich nicht ungebrochen.
Denn deren Sphäre ist grundlegend von einer zweiten Einflusssphäre geprägt: der der klassisch-romantischen russischen Symphonik in Traditionen Tschaikowskys und Glasunows mit eigenen, ausgeprägten Handwerksregeln, mit eigenen Stimmungswerten lyrischer Impressionen und gestischer Erzählung. Anklänge an Tschaikowsky‘sche Themen und Techniken sind in seinen Orchesterwerken immer wieder zu finden, während die heimatlichen ‚Orientalismen‘ in dieser Sprache durchaus nicht stilfremd sind, denn die russische nationale Schule hat sich seit der Romantik für die Musik der angrenzenden asiatischen Völkerschaften interessiert. Für die russische Musik seilte sich schließlich – über diese Grenzen hinausdenkend – die Frage ihrer Einordnung im europäischen Kulturkreis: ihr Verhältnis zu Beethoven, Mozart, zu Schubert und zu Bach, deren Werk gerade in den zwanziger und dreißiger Jahren Gegenstand neuer Diskussionen war. Die russischen Musiker haben ihren Begriff der ‚Meisterschaft‘ nie ohne Rückbezug zu den westlichen Klassikern gedacht und sie immer als eigenen Anspruch und eigene Verpflichtung empfunden.

In diesem Sinn partizipiert Chatschaturjan, der seinen Weg hauptsächlich in den dreißiger Jahren machte, an einem internationalen Stil, für den eine verbindliche Benennung noch nicht gefunden wurde, obschon er in verhältnismäßig ähnlichen Ausdrucksformen im Osten wie im Westen zu beobachten ist: „Vitalismus“, „Populismus“ wie auch „energetischer Neoklassizismus“ waren Versuche seiner Definition. Die dreißiger Jahre hatten sich von den psychologischen Problemen und avantgardistischen Konstruktionen der zehner und frühen zwanziger Jahre abgewandt; Volkstümlichkeit, Monumentalität und zuweilen eine hektische Motorik huldigten einem Ideal neuer Verständlichkeit, des Optimismus und der Lebensnähe im Sinne der alten Futuristenidee, die Grenzen zwischen Kunst und Leben zu beseitigen. Die Musik Chatschaturjans ist in diesem Sinne fast immer ruhelos und von virtuoser Beweglichkeit und behält andererseits selbst in ihren beschaulich-illustrativen Episoden einen Zug zur Objektivität. Diese Sprache, wenn man so will, als ‚sozialistisch-realistisch‘ zu bezeichnen, fand auch im ähnlich orientierten Amerika entsprechenden Anklang.

Zukunftsträchtig im Sinne einer Einschmelzung und Neuformulierung eines gesamt-abendländischen Musikerbes erscheint seine zweite Symphonie, 1943 im Krieg entstanden und seine Tragik in Zitaten der Sequenz Dies irae aus der lateinischen Totenmesse beschwörend – Wegweiser zu einer ‚Polystilistik‘, wie sie von sowjetischen Komponisten in den siebziger Jahren als Programm formuliert wurde.
Ungeachtet dieser Orientierungen entging neben Schostakowitsch und Prokofjew in den 1948er Kampagnen auch Chatschaturjan nicht dem Vorwurf, ‚volksfremd und formalistisch‘ zu komponieren; auch er musste sich in den folgenden Jahren hauptsächlich mit Bühnen- und Filmmusiken über Wasser halten. Aus dieser Schaffensperiode wurde sein Ballett Spartakus (1954) berühmt. Anknüpfend an seine Konzerte komponierte er in den siebziger Jahren in freieren Formen, mit raffinierten impressionistischen Farbwirkungen Konzert-Rhapsodien für Violine (1961), Violoncello (1963) und Klavier (1968) mit Orchester.
Detlef Gojowy

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.