Symphonie Nr. 6 D-dur op. 60

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t1 Konzertführer
Antonín Dvořák
Symphonie Nr. 6 D-dur op. 60

Die Gewährung des Stipendiums und die Einreichung weiterer Werke für dessen Verlängerung hatten den Komponisten in engeren Kontakt mit Johannes Brahms gebracht, der ihm in den folgenden Jahren ein wohlwollender Mentor und schließlich lebenslanger Freund wurde, ihm mit Ermunterung und praktischem Rat zur Seite stand. Durch seine Empfehlung fand Dvořák nicht nur einen Verleger für seine Werke (Simrock in Berlin), er erreichte – der bisher nur in Böhmen bekannt war – auch zum ersten Mal ein internationales Publikum und konnte Kontakte zu bedeutenden Dirigenten, wie Hans Richter und Hans von Bülow, knüpfen. So ist die sechste Symphonie als Auftragswerk für die Wiener Philharmoniker auf Anregung Richters im Jahre 1880 entstanden. Sie gehört zur sogenannten ‚Slavischen Periode‘ in Dvořáks Schaffen, in der der Komponist betont national orientierte Werke (die Slavischen Rhapsodien, Slavischen Tänze, Tschechische Suite) schrieb. In gewisser Weise ist dies eine Reaktion des aufrechten, allerdings nie chauvinistisch denkenden Patrioten, der gerade in einer eher kosmopolitisch orientierten Umgebung seine ethnischen Wurzeln und damit seine individuelle Art bekräftigt. Das bedeutet nicht, dass diese Symphonie einem vordergründigen ‚Folklorismus‘ verpflichtet wäre, der Originalmaterial verwenden oder kopieren würde; dessen Eigenarten sind in Melodik, Harmonik, Rhythmik und Klangfarbe stattdessen sublimiert, treten nur in dem als ‚Furiant‘ (böhmischer Tanz mit charakteristischen Synkopen) gearbeiteten Scherzo deutlich in den Vordergrund. Ansonsten bewegt sich Dvořák in einer Tonsprache, die geistig der zweiten Symphonie von Brahms nahesteht. Mit dieser verbindet ihn hier die meisterhafte Klarheit in Form, Aufbau und musikalischem Satz und das Vermeiden aller instrumentaler Experimente. Die Symphonie Nr. 6 trug den Namen des Komponisten als Symphoniker erstmals über die Grenzen des europäischen Kontinents: Schon im April 1882 erklang sie in London und nur ein Jahr darauf – ein volles Jahrzehnt, ehe Dvořák amerikanischen Boden betrat – stellte Theodor Thomas mit dem Orchester der New York Philharmonie Society sie dem Publikum in der Neuen Welt vor.
Hartmut Becker

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.