Symphonie Nr. 7 E-dur

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t1 Konzertführer
Anton Bruckner
Symphonie Nr. 7 E-dur

Die vom 23. September 1881 bis zum 5. September 1883 komponierte Symphonie Nr. 7 ist Bruckners Durchbruch als Symphoniker. Als Arthur Nikisch am 30. Dezember 1884 in Leipzig die Uraufführung brachte, war der Erfolg zwar noch gemäßigt, weil das Leipziger Publikum sehr konservativ war, aber immerhin konnte Bruckner bereits befriedigt feststellen, dass „zum Schluss eine ¼ Stunde applaudiert wurde“, obwohl die meisten Zuhörer eher verdutzt als begeistert waren. Bruckner war es gewohnt, dass bei Aufführungen seiner Symphonien die Zuhörer scharenweise den Saal zu verlassen pflegten; da wog der Leipziger Beifall schon viel. Offensichtlich war es selbst den so konservativen Leipziger Zuhörern aufgegangen, dass sie das Werk eines großen Symphonikers vernommen hatten. Den eigentlichen Durchbruch erzielte die Symphonie jedoch erst einige Monate später in München, als Hermann Levi (Wagners Parsifal-Dirigent) am 10. März 1885 die Erstaufführung dort dirigierte. Die kurz darauf bereits erfolgte Drucklegung machte die rasche internationale Reputation des Werkes möglich. Es war aber doch fast ein Wunder, dass die Münchner Erstaufführung so durchschlug, denn Levi schrieb während der Proben an Bruckner: „Das Orchester hat natürlich gestutzt und gar nichts verstanden. Die Leute sind nämlich hier unglaublich reaktionär.“ Umso erstaunlicher war die grenzenlose Begeisterung bei der Aufführung, die immerhin die Wiener Philharmoniker, sonst auf Bruckner schlecht zu sprechen, nötigte, nicht länger zurückzustehen und – ein Jahr später – die erste Wiener Aufführung unter Hans Richter zu wagen. Gegen den auch dort einhelligen Erfolg stemmte sich nur der Bruckner-Gegner Eduard Hanslick erwartungsgemäß, schrieb einen seiner üblichen Verrisse und hörte nur „unabsehbares Dunkel“. Wie war der plötzliche Durchbruch des Symphonikers Bruckner möglich?

Ähnlich wie die beiden vorhergegangenen Symphonien gelang auch die Siebente in einem Durchgang, und sie spricht ganz Bruckners eigene Sprache, obwohl die Coda des langsamen Satzes unmittelbar unter dem Eindruck der Nachricht, dass Wagner gestorben sei (13. Februar 1883), komponiert wurde. Von Wagner übernahm Bruckner nur die sogenannten Wagner-Tuben, die dem Hörnersatz eine zusätzliche Farbe verleihen, sonst nur noch gewisse chromatische Wendungen. In seiner melodischen Erfindung ist Bruckner gerade in der E-dur-Symphonie ganz bei sich. Die ersten Kritiken lobten denn auch insbesondere den klaren formalen Aufbau, sprachen von formaler Schlüssigkeit und rühmten die „Klassizität“ des Werkes, manche meinten sogar, Bruckner sei der größte Symphoniker seit Beethovens Tod. Der dramaturgische Plan der Symphonie ist denn auch überwältigend: Der absolute Höhepunkt liegt genau in der zeitlichen Mitte, an jener C-dur-Stelle des Adagios, die durch den bis heute umstrittenen Beckenschlag markiert wird. (Es ist nicht sicher, ob er von Bruckner wirklich gebilligt wurde, da er ein ‚äußerliches‘ Moment in die Steigerungstechnik hineinbringt.) Vielleicht übte Bruckner mit dieser zentralen Position des absoluten Höhepunkts der Werkkonzeption produktive Selbstkritik an der ‚kopflastigen‘ sechsten Symphonie, bei der sich ja der absolute Höhepunkt bereits mit dem Eintritt der Reprise im ersten Satz ereignet. Zwar ist auch das Finale der siebenten Symphonie gegenüber dem ausgedehnten Kopfsatz erheblich gedrängter, aber dafür ist das Adagio ungleich gewichtiger als das der sechsten Symphonie und enthält ja das Zentrum des Ganzen, sowohl zeitlich als auch bezüglich der Tonartenfolge der gesamten Symphonie: Die bogenförmig aufeinander bezogenen Ecksätze -die Hauptthemen sind Varianten voneinander – stehen in E-dur, das Adagio in der Moll-Parallele cis-moll, der Höhepunkt in C-dur und das Scherzo in dessen Moll-Parallele a-moll, während das Trio nach F-dur absteigt; es herrschen also absteigende Terzverhältnisse. Außerdem besitzt das Finale, im Gegensatz zu dem der sechsten Symphonie, ausdrücklichen, lakonischen Abschlusscharakter. Das ist dem unmittelbaren Hören zugänglicher als der Gang durch die Eiswüste der Fuge im Finale der fünften und die gewaltigen Ausbrüche und Raumentfaltungen im Finale der achten Symphonie. Eines ist jedenfalls sicher: Bruckner hat nicht, wie so oft behauptet wird, schablonenmäßig immer wieder den gleichen symphonischen Aufriss komponiert, sondern, wie allein schon die verschiedenen Formideen der Finalsätze zeigen, stets die innere Dramaturgie neu überdacht.

Das Finale der E-dur-Symphonie ist, seinem Abschlusscharakter entsprechend, eher ein Rondo als ein Sonatensatz und überhaupt eine der originellsten Formkonzeptionen Bruckners: Die Reihenfolge der Themen wird in der Reprise umgekehrt, und rondoartig erscheint die Kadenz des Hauptthemas immer wieder, aber nur einmal, nämlich unmittelbar vor der Coda, in der Haupttonart. Der gesamte Satz zielt auf dieses Ereignis hin, ja man könnte sagen, der Satz sei eine einzige riesige Kadenz, die am Ende – in Augmentation – zu sich selbst kommt. Die Kadenz, an sich ein Moment der musikalischen Syntax, erhält die Würde eines Motivs und gewinnt im Satzverlauf allmählich immer mehr die Oberhand, bis sie schließlich als musikalischer Doppelpunkt die Coda herbeiführt, in der die Hauptthemen der Ecksätze kombiniert werden und auf diese Weise ihre Verwandtschaft enthüllen. Der gegensymmetrische Ablauf der beiden Themenblöcke des Finales – Hauptthema, Choralintonation (abgeleitet vom Adagio) und Unisonoeruption – spiegelt sich, und das spricht für Bruckners subtiles Formgefühl, auch in dem Funktionswechsel der Schlussgruppe: In der Exposition ist sie tatsächlich ein Abschluss, in der Reprise dagegen die Rückführung zum Hauptthema. Den Rondocharakter betont Bruckner dadurch, dass er, abgesehen von der Kadenz als ‚heimlichem‘ Rondothema, die Unisonoeruption des dritten Themas als Variante des Hauptthemas formuliert. Das verleiht dem Satz ein Höchstmaß an Einheit und Konsistenz des Ablaufs, eine zwingende Logik sui generis.

Der erste Satz dagegen ist ein weitausgreifender Sonatensatz mit einem bei Bruckner einzigartigen melodischen Hauptthema, das sicher die Zuhörer von jeher in seinen Bann gezogen hat. In zwei jeweils über vierundzwanzig Takte hinwegströmenden Wellen ereignet sich, wie es Max Dehnert ausdrückte, „die Geburt der Melodie aus dem Geiste der Harmonie“. Kein anderes Hauptthema Bruckners weist einen solchen Atem auf. Seine Art der „unendlichen Melodie“ kann sich, im Gegensatz zu Wagner, aussingen.
Dietmar Holland

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.