Serenaden, Suiten, Legenden, Tänze

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t1 Konzertführer
Antonín Dvořák
Serenaden, Suiten, Legenden, Tänze

Zu den selten gespielten Werken Dvořáks gehören die beiden Suiten op. 39 und op. 98b; beide sind fünfsätzig, unterscheiden sich aber sonst in fast allen Wesenszügen. Die Benennung Tschechische Suite für Opus 39 deutet schon auf Charakter und geistige Haltung; die 1879 geschriebene Komposition in einer Pastorale, einer Polka, einer Sousedska, einer Romanze und einem Furiant verschiedene Seiten des Nationalcharakters. Ist diese Suite in Ausdruck, Feinheit der thematischen Arbeit und Instrumentation beinahe kammermusikalisch, so verlangt das erst 1894 in New York entworfene Schwesterwerk (A-dur) große symphonische Besetzung (mit Schlagzeug); die verwendeten Tanztypen (Gavotte und Polonaise) vermeiden betont nationalen Charakter.
Die beiden Serenaden op. 22 (E-dur, für Streichorchester) und op. 44 (d-moll, für Blasinstrumente, Violoncello und Kontrabass) entstanden 1875 bzw. 1878; anknüpfend an die aus dem späten 18. Jahrhundert stammende Gattungstradition lieferte Dvořák damit zwei originelle Beiträge zum Typus der Streicher- bzw. der ursprünglich als Freiluftmusik gedachten Bläserserenade (letztere sogar mit dem im 18. Jahrhundert üblichen Einzugsmarsch). Beide Werke sind eher als größer besetzte Kammermusiken denn als Orchesterwerke anzusehen. Die beiden Reihen von je acht Slavischen Tänzen, op. 46 und 72, entstanden 1878 und 1886, machen einmal mehr deutlich, dass Dvořák sich – bei allem Patriotismus – nie als Musiker verstand, der ausschließlich für seine Heimat und sein Volk wirken und dort verstanden sein wollte. Auch Smetana hat stilisierte Tänze (allerdings nur für Klavier solo) hinterlassen, doch nennt er diese völlig zu Recht Böhmische Tänze. Dvořáks erste Sammlung enthält gleich an zweiter Stelle eine – in der Ukraine beheimatete – Dumka, die Nr. 1 der zweiten Sammlung ist ein stilisierter slovakischer Odzemek, die Nr. 6 eine Polonaise, die Nr. 7 schließlich ein serbischer Kolo; nicht Abgrenzung gegen die musikalische Kultur der Nachbarvölker, sondern das Gegenteil, wechselseitige Durchdringung und Befruchtung ist das Ziel. Die für Klavier zu vier Händen komponierten Tanzserien sind äußerst wirkungsvoll und kontrastreich instrumentiert; sie gehören nicht umsonst zu den populärsten Werken des Komponisten.

Ein intimes Gegenstück zu den Tanzserien bildet der Zyklus der zehn Legenden op. 59, wie die Tänze zunächst für Klavier vierhändig geschrieben (1881) und erst nachträglich instrumentiert. Nur das vierte Stück verlangt Trompeten und Pauken, das fünfte und sechste eine Harfe; der Klang ist sonst ganz auf die Farbe der Holzbläser, Hörner und Streicher gestellt. Die Legenden sind, wie die Tänze, musikalische Charakterbilder, deren epischer Ernst, Feinheit der Arbeit und Originalität Brahms begeisterten.
Hartmut Becker

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.