Dvořák Symphonien Nr. 1-5

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t1 Konzertführer
Antonín Dvořák
Dvořák Symphonien Nr. 1-5

Das früheste erhaltene Werk absoluter Symphonik schrieb Dvořák 1865; es blieb, da er selbst die Partitur nicht mehr besaß und verloren glaubte, von den Revisionen verschont, denen der Autor die drei folgenden Symphonien in den achtziger Jahren auf Wunsch seines Verlegers unterzog. Die heute als op. 3 bezeichnete erste Symphonie (c-moll) ist gewiss formal noch unproportioniert, offenbart jedoch bereits erstaunliche Sicherheit in der Handhabung des großen Apparats und der symphonischen Verarbeitungsweisen. Ihre Ausdruckssphäre ist deutlich an der Klassik und frühen Romantik, besonders an Beethoven, orientiert, ohne allerdings zur Kopie zu entarten; schon der Vierundzwanzigjährige findet in diesem Werk voller Leidenschaft und dramatischer Spannung unverwechselbar eigene Töne.

Mit der zweiten Symphonie (B-dur op. 4) aus dem gleichen Jahr beginnt sich Dvořáks Wagner-Erlebnis auszuwirken; er hatte 1863 beim Prager Konzert des Musikdramatikers Teile aus dessen Kompositionen mitgespielt. Überborden melodiöser, lyrischer Einfälle charakterisiert diese Zweite, in deren Scherzo sich erstmals, wenngleich noch schüchtern, Elemente des Volkstanzes zu Wort melden. Wie sehr der Autor selbst dieses Werk schätzte, erhellt aus der Verwendung einer Sequenz des Finales im Schluss des dritten Aktes der Rusalka (1900).

Die Symphonien Nr. 3 (Es-dur op. 10, 1873) und Nr. 4 (d-moll op. 13, 1874) zeigen Dvořák im Ringen mit den Einflüssen Wagners und der Neudeutschen Schule; in beiden Werken kommt es zu deutlichen Anklängen an Opern des Bayreuther Meisters, so im Mittelsatz der Nr. 3 an Lohengrin, im Andante der Nr. 4 an Tannhäuser und im Trio von deren Scherzo an die Meistersinger von Nürnberg. Das Durchschlagen dieser ‚Wagner-Krise‘ auf eine Gattung, die Wagner selbst für abgestorben erklärt hatte, sowie auch deren Meisterung und Überwindung sind für Dvořák gleichermaßen charakteristisch: Die Programmatik der Neudeutschen spielt keine Rolle, dafür experimentiert er in der dritten Symphonie mit einer Verbindung aus langsamem Satz und darin ‚eingebautem‘ Scherzo (dessen Thematik in der Coda wiederkehrt) – eine Konstellation, die in absoluter Symphonik erst César Franck aufgenommen hat. Die Instrumentation beider Werke fordert charakteristische Instrumente des Opernorchesters: Englischhorn (3.), Harfe (3. und 4.), Schlagzeug (4.). Mit den von Smetana geleiteten Aufführungen der dritten sowie des Scherzos der vierten Symphonie (Frühjahr 1874) machte Dvořák in seiner Heimat zum ersten Mal als Symphoniker von sich reden; beide Werke reichte er im gleichen Jahr zur Erlangung eines staatlichen Stipendiums nach Wien ein. Die Regierungskommission, der Johannes Brahms, Eduard Hanslick und Joseph Hellmesberger angehörten, entschied positiv, was – bei allen zitierten Einflüssen der Neudeutschen Schule – für das Durchschlagen einer starken Individualität auch in diesen Werken zu werten ist.

Unmittelbare Auswirkungen des Stipendiums war die im Sommer 1875 entstandene fünfte Symphonie (F-dur op. 76), in der Dvořák im Umgang mit den formalen Proportionen nochmals einen großen Schritt vorangeht. Der Prozess stilistischer Klärung findet mit diesem Werk seinen Abschluss; nur noch wenige fremde Einflüsse sind wahrnehmbar, so der modulatorische, an den langsamen Satz anknüpfende Scherzo-Beginn. In der Dumka des Andante und der pikanten Rhythmik des Scherzos meldet sich bereits der Habitus der Slavischen Tänze.

Hartmut Becker

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.