Chorwerke mit Orchester

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t1 Konzertführer
Antonín Dvořák
Chorwerke mit Orchester

Von den drei weltlichen Chorwerken mit Orchester ist außerhalb von Dvořáks Heimat nur die dramatische Kantate Die Geisterbraut op. 69 gelegentlich zu hören; der zugrundeliegende Text ist eine Ballade aus der gleichen Sammlung Kytice von Karel Jaromír Erben, der der Komponist ein Jahrzehnt später die Vorlagen für vier der symphonischen Dichtungen entnahm. Der Stoff, die Heimführung eines Mädchens durch den toten Bräutigam, ist in Deutschland durch Gottfried August Bürgers Leonore bekannt. Erbens Fassung des Stoffs hat allerdings einen glücklichen Ausgang, was der Lebensbejahung des Komponisten entgegenkam. Das wirkungsvolle, dramatische Werk verrät deutlich seine Nähe zur siebten Symphonie, es wurde unmittelbar vor dieser vollendet. Eines der wenigen ‚nur nationalen‘ Werke Dvořáks ist der 1872 entstandene Hymnus op. 30, Die Erben des Weißen Berges, die erste Kantate des Komponisten; sie gehörte zu den Schöpfungen, die ihm zuerst in seiner Heimat einen Ruf als nationaler Tondichter verschafften. Ihre mangelnde Bekanntheit erklärt sich durch die im Ausland kaum verständlichen Zusammenhänge des Textes. Gleiches gilt für das Oratorium Die heilige Ludmilla op. 71, ist allerdings bei diesem Werk aus der Reifezeit des Komponisten (geschrieben 1885/86) sehr zu bedauern, denn es ist das oratorische Gegenstück zu Smetanas Nationaloper Libussa.

Die erste Beschäftigung mit einem geistlich-liturgischen Werk hatte für Dvořák einen traurigen Anlass: Innerhalb von weniger als zwei Jahren verstarben seine drei Kinder Josefa, Ružena und Otakar. Mit dem 1876 entworfenen, im Herbst 1877 instrumentierten Stabat Mater op. 58 versuchte er sein Leid über diesen schmerzlichen Verlust zu bannen. Das in zehn Abschnitte gegliederte Werk gilt als erstes Oratorium der neueren tschechischen Musik, ist aber in der Eindringlichkeit und Plastizität seiner musikalischen Bilder überall von außerordentlicher Wirkung: Dvořáks Erfolge in England (ab 1884) gingen wesentlich von dem Eindruck dieses Werkes aus. Die Abrundung des ansonsten aus selbständigen Teilen bestehenden Werkes zu einem Zyklus wird durch Rekapitulation von Teilen des Anfangssatzes im Finale erreicht – erstes Anzeichen für spätere Gestaltungsarten, die die Sätze enger verbinden.

Dies geschieht noch nicht in der Messe op. 86 (D-dur), die 1887 zunächst nur mit Orgelbegleitung für die Hauskapelle eines mit dem Komponisten befreundeten Architekten geschrieben wurde und deren intimer Stil auch in der instrumentierten Fassung sie abseits der großen repräsentativen Chorwerke stellt.

In dem 1890 für ein Musikfest in Birmingham komponierten Requiem op. 89 macht Dvořák dafür ausgiebigen Gebrauch von der Verwendung eines Leitmotivs, einer chromatischen Umspielung des Grundtons b, rhythmisiert mit einer charakteristischen Synkope (Josef Suk und noch Bohuslav Martinū haben dieses Tonsymbol wiederverwendet). Der Gefahr theatralischer Wirkungen erliegt der Komponist nicht, doch gelingen ihm – mit weit geringeren äußeren Mitteln – in der Sequenz Klangvisionen von aufwühlender Dramatik, die denen von Berlioz und Verdi nicht nachstehen, wenngleich der ganze zweite Teil des Werkes auf den lyrischen Grundton stiller Trauer gestellt ist.

Das Te Deum op. 103 schließlich schrieb der Komponist im Sommer 1892, unmittelbar vor seiner Abreise nach New York, für die dortigen Columbus-Feiern. In der formalen Gestaltung der vier Abschnitte ist leicht der Satzzyklus der Symphonie zu erkennen. Slavisch ist an diesem festlichen Werk nicht allein die oft folkloristische Melodik, sondern auch die in sich bewegten, harmonisch statischen Klangflächen der Rahmenteile des ersten Satzes, die so deutlich an Glockengeläut erinnern.
Hartmut Becker

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.