Sieben frühe Lieder für Gesang und Orchester (1928)

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t1 Konzertführer
Alban Berg
Sieben frühe Lieder für Gesang und Orchester (1928)

Während des Studiums bei Schönberg, teilweise auch schon früher, hat Berg rund 140 Lieder für Gesang und Klavier komponiert, aus denen er in der Reifezeit sieben herausgriff und sie mit Orchesterbegleitung versah. Damit schließt sich der Kreis seines Schaffens. Die Anordnung der Lieder verrät den Hang, eine zyklische Idee zu realisieren: Die inhaltlich mehr allgemein gehaltenen beiden äußeren Lieder (‚Nacht‘, Text von Carl Hauptmann, und ‚Sommertage‘, Text von Paul Hohenberg) bilden den Rahmen. Sie haben das größte inhaltliche Gewicht und sind auch die am spätesten komponierten Stücke der Gruppe (1908). Das früheste Lied (‚Im Zimmer‘, Text von Johannes Schlaf, komponiert 1905) rückt ins Zentrum, ist auch das kürzeste von allen. Der stets wechselnde Grundklang der Orchesterbesetzung bildet eine zusätzliche dramaturgische Idee: Die beiden äußeren Lieder verwenden als einzige, da sie den Rahmen des Zyklus einnehmen, die volle Besetzung, das dritte (‚Die Nachtigall‘, Text von Theodor Storm) nur die Streicher, das fünfte, zentrale ist nur mit Bläsern und Harfe besetzt, und die übrigen (Nr. 2: ‚Schilflied‘, Text von Nikolaus Lenau; Nr. 4: ‚Traumgekrönt‘, Text von Rainer Maria Rilke; Nr. 6: ‚Liebesode‘, Text von Otto Erich Hartleben) enthalten im Orchester verschiedene solistisch aufgebrochene Klangbildungen. Aber nicht allein der wechselnde Grundklang, sondern vor allem die analytische Instrumentation verdeutlicht die Struktur und Haltung der ursprünglichen Klavierlieder, rückt sie dadurch in ein ganz neues Licht. Berg hebt an den Jugendwerken hervor, was er später kompositorisch konsequent daraus weiterentwickelt hat. So macht er verborgenes Stimmengeflecht hörbar oder bringt feinsinnige Zutaten an, wie etwa am Schluss des fünften Lieds, nach der Textzeile „wie leise die Minuten zieh’n“, wo ein zartes Ticken der Celesta das verwirklicht, was der Text andeutet und die Klavierfassung noch nicht enthielt. Das Ausinstrumentieren des Klangs, ja von dessen Zusammensetzung, ist eine kompositorische Erfahrung der freien Atonalität, bei der die komplexen, dissonanten und schwer durchhörbaren Akkorde um der notwendigen Deutlichkeit willen aus einzelnen, heterogenen Klangfarben zusammengesetzt werden. Diese Kunst kommt auch der Orchesterfassung der Sieben frühen Lieder zugute und führt schließlich zu dem leibhaftig durchdringend instrumentierten Zwölfton-Todesakkord der Lulu in Bergs zweiter, unvollendeter Oper.
Dietmar Holland

© Csampai / Holland: Der Konzertführer. Rowohlt Verlag.