Musikgeschichten: 1. Oktober (1951)

Vergeigt. Henry Werro wird entlarvt

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Bennet Seiger
Bennet Seiger
01.10.2019

Das Geschäft mit historischen Geigen ist zwar klein – dafür aber millionenschwer und exklusiv. Das meiste passiert im stillen Kämmerlein, und wenn die teuren Kleinode doch auf dem Markt landen, dann werden bei Christie’s oder Sotheby’s, den Hotspots des Geigenhandels, die Preise künstlich in die Höhe getrieben. Nach Außen dringt aus dieser Welt kaum etwas, und wenn, dann sind es Nachrichten über neue Spitzenpreise für Stradivaris und Co. – oder es sind Skandale. So kennt man die Geschichte um Dietmar Machold, der mit zwielichtigen Tricks das Geigenhandelsystem unterwanderte und so Millionen scheffeln konnte. Zumindest bis seine Machenschaften aus dem Ruder liefen und ihm die Justiz auf die Schliche kam.

Geigen Laden 16 9
(Foto: Public Domain)

Stradivari, Amati und Guarneri sind exklusive Namen – die wie Gold wiegen, denn der Wert einer Geige aus diesen Manufakturen steigt meist kontinuierlich. Das Problem: Es fehlen unabhängige Gutachter, um die Echtheit der Instrumente zu beweisen. Es gibt wenige Experten, die nicht selbst in krude Machenschaften verstrickt sind. Zu Rechtsstreits oder Skandalen kommt es selten, da keine Seite wirklich daran interessiert ist, sie aufzudecken, auch die Käufer häufig nicht. Dazu sagte Graham Wells von Sotherby’s in den 1980er Jahren:

»Die zahlen meist mit Schwarzgeld, einen Skandal können sie sich gar nicht leisten.«

Im Dezember 1958 brach in der Schweiz aufgrund dieser Machenschaften der sogenannte “Geigenkrieg” aus. Der Auslöser dafür war der 1. Oktober 1951. Bei einer Tagung der Generalversammlung des Schweizerischen Geigenbauvereins beschuldigte der Geigenbauer Carl Mächler lautstark den Präsidenten des Vereins, Henry Werro, eine Geige als “Stradivari” zu einem hohen Preis verkauft zu haben. Das Instrument hatten Mächler und die Londoner Geigenfirma Hill zuvor als Fälschung entlarvt. Dies brachte das Räderwerk der schweizer Justiz in Gange, sodass Werro im Frühjahr 1952 verhaftet wurde – kurze Zeit später aber schon wieder auf freiem Fuß war. Das alte Problem: Es fehlten die unabhängigen Experten. Am Ende wurde die Kriminalpolizei für wissenschaftliche Tests und stilkundige Experten hinzugezogen, die zusammen eine Expertenkommission bildeten.

Werro selbst war Experte für Meisterprüfungen im Geigenbau und Mitbegründer des Internationalen Geigenbaumeister-Verbandes. Eine Koryphäe, deren Meinung als maßgeblich galt; dekoriert mit Ämtern, die ihm Glaubwürdigkeit verschafften. Dass er gerade das ausnutzte, macht die Geschichte so perfide. Er kaufte zwar echte, aber namenlose Geigen und tauschte die im Inneren angebrachten Etiketten gegen gefälschte aus – und “promovierte” sie so zu vermeintlich exklusiven Meisterinstrumenten. Die Expertenkommission kam ihm unter anderem durch wissenschaftliche Tests auf die Schliche – eine beachtliche Leistung zu jener Zeit. Doch auch daraus haben Fälscher gelernt: Häufig wird Holz von antiken Möbeln genutzt, Leime und Lacke nach alten Rezepten hergestellt und altes Papier für die Etiketten verwendet, was solche Nachweise schwierig macht.

Das Gericht urteilte 1957 schließlich, dass faksimilierte Etiketten zulässig seien, wenn sie als Faksimile gekennzeichnet werden – was den Wert natürlich erheblich mindert. Die großen Geigenhändler begannen daraufhin, sich gegenseitig zu bezichtigen – der “Geigenkrieg” war in vollem Gange. Henry Werro wurde wegen zweifachen Betrugs, Urkundenfälschung in zwölf Fällen und wegen versuchter Nötigung zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Den getäuschten Kunden musste er insgesamt 400.000 Franken zurückzahlen. Ein Verbrechen sah er in seinen Machenschaften bis zum Schluss übrigens nicht. ¶

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