Heute geht es um eine kleine Nachtmusik, aber nicht die von Mozart, sondern was ganz anderes, ein kleines Traumstück namens La Nuit des französischen Komponisten Ernest Chausson, das seine Uraufführung 1883 erlebte. „Sehr ruhig“, steht als Spielanweisung über den Noten, wir hören einen Sopran und einen Mezzosopran in wundersamem und quasi halluzinogenem Ineinanderverschlungensein, aber vorher rieselt zauberisches Klavier-As-Dur von diesem Nachthimmel der Sorglosigkeit.
La Nuit, dieser verklärte Blick in eine fast wolkenlose Gegenwelt, ist der eine Teil eines kleinen Diptychons. Dessen anderer Flügel beschreibt, auch sehr sinnlich, das Erwachen, auf ein Gedicht von Balzac, „Reveil“. Das ist Musik, geschaffen, um die feinen Flimmerhärchen der Wahrnehmung aufzustellen, geschrieben von einem Melancholiker: Ernest Chausson, 1855 geboren in die Familie eines erfolgreichen Bauunternehmers, empfing die denkbar besten Bildungsmöglichkeiten seiner Zeit. Zugleich lag, nach dem Tod zweier Geschwister, ein Schatten über seiner Jugend: Die traumatisierten Eltern versuchten wohl, Ernest von der Welt abzuschließen, was den Überbehüteten,
„zusammen mit der Lektüre einiger morbider Bücher, zu einem traurigen Kind machte, ohne dass ich eigentlich gewusst hätte, warum ich so traurig war, aber ich war überzeugt, die allerbesten Gründe dafür zu haben.“
Hier schmiegen sich zwei Stimmen ineinander!
Gibt es die nicht immer? – Chausson interessiert sich zunächst für alle Künste, studiert aber erst Jura, dann Musik bei Massenet und César Franck, berauscht sich in Bayreuth an Wagnermusik und befreundet sich mit Debussy. Der Salon Chausson war einer der feinsten Umschlagplätze für Musik, Kunst, Literatur.
In die Salon-Sphäre verfeinerter Genüsse gehören auch die beiden Duette von Nacht und Erwachen, die Chausson für seine Frau und deren Schwester komponierte, im Todesjahr Wagners und sechzehn Jahre vor seinem eigenen, tragischen Ende durch einen Fahrradunfall. Am 10. Juni 1899 fand man ihn, den reichen und so reich begabten, am Tor seines Château des Moussets in Limay, nordwestlich von Paris, mit zerschmettertem Schädel. ¶