Musikgeschichten 2. Oktober (1950)

This is ART, blockhead!

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Martin Geck †
Martin Geck †
02.10.2017

Die Kult-Serie Peanuts, welche die ganze zweite Hälfte des 20. Jahrhundert laufen wird, weist der Figur des Schroeder eine herausragende Rolle zu. Der hat als Freund des Hauptakteurs Charlie Brown zwar keinen Vornamen, dafür aber einen urdeutschen Nachnamen, der ihn dazu prädestiniert erscheinen lässt, von Beethoven zu schwärmen – später auch von Mozart, Chopin, Brahms und Schumann. Hingebungsvoll spielt er deren Musik auf seinem Kinderklavier, wobei Schulz’ Strips – eine Seltenheit in diesem Genre – die Noten originalgetreu wiedergeben.

Das erste Präludium aus Bachs "Wohltemperiertem Klavier".

So erscheint etwa das Notenbild von Anfang und Ende des 1. Präludiums aus Bachs Wohltemperierten Klaviers in einer Szene, in der Lucy den am Klavier sich verausgabenden Schroeder mit der Frage nervt, ob man als Pianist viel Geld verdienen könne. Der ergrimmte Schroeder fährt – wie von ihm gewohnt – aus der Haut:

»Who cares about money?! This is ART, you blockhead! This is great music I'm playing, and playing great music is an ART! Do you hear me? An ART! Art! ART! ART! ART! ART!«

Überhaupt Lucy: Für damalige und heutige Feministinnen fast unerträglich, fordert sie Schroeder beständig durch naive Äußerungen heraus, die jeglichen Kunstverstand vermissen lassen:

»Beethoven wasn't so great. You've never seen his face on a bubblegum card, have you?«

Lucy fehlt jedes Verständnis dafür, dass man sich in sein Klavierspiel vertiefen kann, ohne zur Musik singen, tanzen oder an romantische Abenteuer denken zu müssen. Da mag Schroeder ihr zehnmal einhämmern:

»The joy is in the playing. Music is not what I do. It’s what I am.«

Hat Theodor W. Adorno, der sich noch Anfang der 50er Jahre wiederholt in den USA aufhielt, die Peanuts registriert? Fast unmöglich, dass er die Serie, die schon im Jahr nach ihrem ersten Erscheinen in mehr als in drei Dutzend Zeitungen erschien, übersah. Dennoch hat er vermutlich überblättert, was ihn in seiner kritischen Haltung gegenüber der amerikanischen Kulturindustrie hätte bestärken können: Waren es nicht Figuren wie Lucy, deren Oberflächlichkeit in Sachen klassischer Musik sein Missfallen erregte?

Zwar nicht von Adorno, jedoch von der „Buffalo Westminster Presbyterian
Church“ im Bundesstaat New York wird der beethovensüchtige Schroeder inzwischen bleibend geehrt: Dort ist ein Glasfenster zu sehen, das den großen Albert Schweitzer an der Orgel zeigt – und im unteren linken Eck den Kollegen Schroeder am Kinderklavier. ¶

Schroeder Church Window
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