Sie war die Tochter eines Schriftstellers und einer Schauspielerin, geboren am 23. Juni 1897 im englischen Hastings. Früh wurde sie Vollwaise, und wir würden über diese Winifred nichts mehr wissen, wäre sie nicht 1907, ein neun Jahre altes Mädchen, aus einem Waisenhaus in Sussex nach Berlin geholt, von dem entfernt verwandten Paar Klindworth in Obhut genommen worden. Die Klindworths waren fortan nicht mehr kinderlos, und weil Karl Klindworth, Dirigent und Pianist, ein glühender Wagnerianer und zudem Anfertiger einschlägiger Klavierauszüge der Partituren des Meisters von Bayreuth war, wird man dem Mädchen aus England bald den Wagnernamen Senta geben.
Winifred „Senta“ wuchs auf in einer deutschvölkischen, streng antisemitischen Obstbaumkolonie bei Berlin. Aber natürlich darf sie mit nach Bayreuth, sie darf mit Cosima Wagner spazieren gehen und macht bella figura, auch beim Staubwischen im „Saal“ von Wahnfried. So kann sie zur Heiratsoption für den unumstrittenen Statthalter, in Bezug auf Frauen aber unsicheren Kantonisten Siegfried werden. Wagners Sohn! Aus ihrer Sicht war es Liebe auf den ersten Blick: „Seine wundervollen blauen Augen bezauberten mich.“ 1915 wird geheiratet, Siegfried erkennt bald, was er ihren „erekten Starrsinn“ nennt, doch das Projekt Nachkommenschaft läuft: Wieland, Wolfgang, Friedelind, Verena werden geboren. Und ein anderer kommt und bezaubert die patente, pragmatische Bayreuther Hausherrin. Der junge Adolf Hitler erschien ihr schon 1919, und wo er als Putschist ins Gefängnis muss, schickt sie ihm das Schreibpapier, auf dem er sein Programm entwarf, „Mein Kampf“.
Hitler, der - nach Cosimas und Siegfrieds Tod - nun „Hohen Frau“ von Bayreuth die Hand küssend: Winifred-Senta war empfänglich dafür, im Reich wird gemunkelt, es bahne sich womöglich eine Verbindung an...
Sie war eine Starke. Rettete die Festspiele vor der Pleite. Hielt den Laden zusammen, hisste die Hakenkreuzfahne über dem Grünen Hügel, und wenn es ihr passte, setzte sie sich auch für Verfolgte ein. Als das Dritte Reich untergegangen war, da wurde sie als „minderbelastet“ eingestuft, 1949 erklärte sie ihren Verzicht auf die Festspielleitung. Ihrem Freund „Wolf“ hielt sie aber auch die Treue, als das nun, im neuen Deutschland, gar nicht mehr opportun war. Als sie der Filmemacher Hans-Jürgen Syberberg 1975 zu einem Marathon-Interview traf, sagte sie ihm ohne Arg in die Kamera, was weithin für Empörung sorgte:
»Also, wenn heute Hitler hier zum Beispiel zur Tür hereinkäme, ich wäre genauso so so so fröhlich und so so glücklich, ihn hier zu sehen und zu haben, als wie immer...«
So so so. Sie war eben auch eine Treue, bis über den Tod. Das Senta-Programm funktionierte bis zuletzt. ¶