Auch jemand, der monarchistischer Sympathien unverdächtig ist, muss zugeben, dass das Leben der österreichischen Kaiserin Elisabeth bühnenreif war. Eine schöne und sensible bayerische Prinzessin wird mit Kaiser Franz Joseph verheiratet, leidet am strengen Wiener Hofzeremoniell, verliert ihren einzigen Sohn durch einen mysteriösen Selbstmord und wird schließlich beinahe zufällig von einem Anarchisten ermordet. Schön, berühmt, reich und unglücklich – diese Kombination dürfte zu allen Zeiten ihr Publikum gefunden haben und finden. Weil die Yellow Press zu Elisabeths Zeit aber noch in den Kinderschuhen steckte und Paparazzi ihre Bilder noch selbst malen mussten, war es die Aufgabe der Künstler, den Mythos von Sisi, Sissi oder Sissy zu erschaffen. Ein wichtiges Datum auf diesem Weg war der 23. Dezember 1932. An diesem Tag, 34 Jahre nach dem Tod der Kaiserin, wurde im Theater an der Wien die Operette Sissy von Fritz Kreisler uraufgeführt.
Die echte Sissy: Kaiserin Elisabeth von Österreich und Apostolische Königin von Ungarn.
(Foto: Public Domain)Kreisler war zu dieser Zeit schon lange ein Weltstar. Seine Kunst als Violinvirtuose stand zwar höher im Kurs als seine Kompositionen, aber auch diese waren beliebt. So war es kein Wunder, dass Kreisler den renommierten Operettenkomponisten Bruno Granichstaedten ausstach, als es darum ging, das Libretto der Brüder Ernst und Hubert Marischka zu vertonen. Die beiden Theaterleute hatten die Rechte an einem Theaterstück mit dem Titel Sissys Brautfahrt erworben, weil sie ahnten, wo ein solcher Stoff eigentlich zu Hause war: in der Operette.
Fritz Kreisler, 1917.
Kreisler biss an und vertonte den Stoff mit seinem bewährten Erfolgsrezept: Er mischte alte und bewährte Kreisler-Stücke zu einer frischen Operetten-Melange zusammen. Das Libretto bietet wirkungsvollen Kitsch. Herzogin Luise von Bayern sitzt nervös im Familienschloss von Possenhofen am Starnberger See, weil sie unbedingt ihre Tochter Helene, genannt Nené, an den jungen österreichischen Kaiser verheiraten will. Sie fährt mit ihren beiden Töchtern Nené und Sissy nach Bad Ischl, um dem Kaiser aufzulauern. Nené will den gar nicht heiraten, sie ist in einen anderen verliebt. Umso besser, dass Sissy dem Kaiser auffällt, als sie im Schlosspark Blumen pflückt. Die unbekannte Blumenpflückerin geht dem Kaiser nicht aus dem Sinn. Den Rest kann man sich vorstellen: Nach ein paar weiteren Wendungen findet das Paar zueinander. Völlige Begeisterung im Zuschauerraum, die Wiener erheben sich und singen die Kaiserhymne, 14 Jahre nach dem erbärmlichen Untergang der Donaumonarchie.
Richard Tauber singt Kreisler: Sissy. Die Arie “Dein Kuss hat mir den Frühling gebracht...Die Liebe kommt, die Liebe geht” aus dem zweiten Akt.
Sissy war das richtige Stück am richtigen Ort, Fritz Kreisler genau der richtige Komponist für diesen Schmachtfetzen. Die aufstrebende junge Paula Wessely gab trotz stimmlicher Probleme die Sissy, Theaterdirektor Hubert Marischka ihren Vater Herzog Max. 289 mal wird das Stück bis 1932 wiederholt, das Publikum kann auch mit der zweiten (Hedy Lamarr) und dritten Sissy nicht genug davon kriegen – trotz oder gerade wegen der Texte, von denen ein Kritiker anlässlich einer Wiederentdeckung 2016 schrieb:
»Mit Ironie und Parodie ist deren Gartenlauben- und Poesiealbum-Flair sicher nicht beizukommen.«
Dem Librettisten Ernst Marischka ließ der Erfolg übrigens keine Ruhe: In den 50er Jahren versuchte er es noch einmal und schuf mit seiner Sissi-Trilogie einen der erfolgreichsten deutschen Filme aller Zeiten. Spätestens damit ist Sissi zum Mythos geworden. ¶