Musikgeschichten: 19. September (1998)

Sehnsüchtig symphonisch bis lautstark drastisch: A Streetcar Named Desire

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Lisa Günster
Lisa Günster
19.09.2019

Das Bild von New Orleans, das André Previn in seiner ersten Oper A Streetcar Named Desire musikalisch entstehen lässt, ist nicht clean, nicht schick, nicht übersichtlich. Man hört laszive Saxophonsounds, Melodien, die ins Leere gehen, das Orchester brummt unentschlossen, bis dann aufsteigende Dissonanzen folgen: Ein musikalisch zähes Ringen um Ordnung spiegelt das Setting wieder, in dem Blanche DuBois, die Protagonistin der Oper und des zugrundeliegenden Theaterstücks, nach langer Reise aus dem fernen Mississippi ankommt.

Als die Oper 1998 in San Francisco uraufgeführt wird, haben natürlich alle die erfolgreiche Verfilmung von 1951 im Kopf, mitsamt seinen charismatischen Hauptdarstellern: Marlon Brando als Muskelprotz-Prolet Stanley und Vivien Leigh als kultivierte aber orientierungs- und haltlose Blanche DuBois, die zu ihrer Schwester zieht – und dort in zunehmend eskalierende Auseinandersetzungen mit ihrem Schwager, eben Stanley, gerät.

Andre Previn 16 9

André Previn im Oktober 1973.

(Foto: Public Domain)

André Previn hatte sich in den 1990er Jahren längst einen Namen in Hollywood erarbeitet, mit Soundtracks zu berühmten Klassikern wie Das Mädchen Irma la Douce oder Gigi. Außerdem trat er als Jazzpianist auf, seine scheinbar mühelosen Improvisationen im Fernsehshows der 1960er und 1970er Jahre lassen sich auf youtube finden. 1985 wurde sein Klavierkonzert uraufgeführt; nach langen Jahren in der Filmbranche hatte Previn, nach eigenen Angaben, Lust auf mehr:

»Ich wollte mit dem Talent spielen, das ich hatte«

Previns Freude am Experimentieren lässt sich in seiner ersten Oper hören: Einige der Stücke klingen nach Spannung und Ungewissheit, nach musikalischem Neuland (wie das „Interlude“ im dritten Akt), andere wiederum könnten in ihrer unangestrengten Finesse auch einem Leonard Bernstein aus der Feder geflossen sein.

„I can smell the sea air“, singt Blanche. Und wir glauben ihr die Sehnsucht, untermalt von ausladender Symphonik.

Für diesen Kompositionsauftrag wagt Previn nun einen Balanceakt: Er will einerseits seine Erfahrung mit dem amerikanischen Showbiz und dessen Anforderung, Geschichten mit Musik einzukleiden, einbringen. Andererseits soll sein eigener Anspruch nicht zu kurz kommen, eine Oper mit dramatischer Entwicklung musikalisch so umzusetzen, dass die Partitur der literarischen Vorlage in ihrer Komplexität gerecht wird.

Previn schreckte nicht davor zurück, einen amerikanischen Klassiker zu vertonen, und er hatte Erfolg: A Streetcar Named Desire wurde oft aufgeführt und der Mut des Komponisten so vom Publikum honoriert. ¶

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