Bernsteins Gastspiele mit den New Yorker Philharmonikern in Leningrad und Moskau waren – wir befinden uns im September 1959 und im Kalten Krieg – natürlich ein Politikum. Ein Politikum war, im Jahr zuvor, auch die Vergabe des Literaturnobelpreises an Boris Pasternak, den Autor von Dr. Schiwago. Weil es darin Sowjet-kritische Töne gibt, wurde der Dichter gezwungen, den Preis zurückzugeben. Im Sommer 1959 hatte sich Pasternak auf eine Datscha vor den Toren Moskaus zurückgezogen. Bernstein wollte den in Ungnade gefallenen Schriftsteller aber gern sehen, machte seine Adresse ausfindig und lud ihn zum Konzert am 11. September nach Moskau ein. Auf das Telegramm antwortete Pasternak in einem gewundenen, dreiteiligen Brief. Im ersten Teil, geschrieben am 1. September, dankt er, hochgeehrt, er käme unbedingt gern nach Moskau zum Konzert.
»Abgesehen davon werde ich versuchen, das Glück, die Ehre und das Recht zu erlangen, sie am Mittwoch, den neunten, um drei Uhr nach Peredelkino zum Essen einzuladen.«
Darunter steht nun, mit dem Datum 2. September, es ginge leider doch nicht, „ich halte es für besser, auf das große Vergnügen zu verzichten und nicht zusammenzutreffen“,
»entschuldigen Sie meine unerklärliche Unhöflichkeit. Meine unbeabsichtigte Unfreundlichkeit ist mein Unglück, nicht meine Schuld.«
Im gleichen Brief lädt er den amerikanischen Superstar ein und wieder aus. Und, in einer „letzten Anmerkung“, wieder ein; Bernstein und Gattin seien willkommen: „Kommen Sie, auch unangemeldet.“ Nur mittags nicht, da mache er Spaziergänge. Das Hin- und Her der brisanten Einladung lässt sich durch politische Bedenken wohl erklären; weniger, warum er das Ganze in einem Brief stehen ließ statt einen neuen zu schreiben. Vielleicht gerade darum: um seine Lage deutlich zu machen.
Das Treffen gab es dann tatsächlich. Lenny musste in Moskau bleiben; aber Felicia Bernstein fand Pasternak im Wald und nahm in mit in die Stadt. Man soll sich blendend verstanden haben. ¶