Musikgeschichten: 23. März (1881)

In Moskau weltberühmt: Nikolai Rubinstein

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Georg Holzer
Georg Holzer
24.03.2020

Geschwister-Schicksale gibt es viele in der Musikgeschichte. Eines der interessanteren ist das der Rubinstein-Brüder aus Russland. Sie waren Söhne eines kleinen Fabrikanten, der in den Konkurs ging und starb, als Nikolai, der Jüngere, gerade 11 Jahre alt war. Zuvor aber hatte die Mutter die beiden Söhne noch mit nach Berlin genommen, wo sie für ein paar Jahre bei berühmten Lehrern Klavier studierten und bei ihrer Rückkehr nach Moskau schnell zu anerkannten Größen im Konzertleben wurden.

Rubinsteins

Nikolai (l.) und Anton Rubinstein.

Sieht man ein Foto der Brüder Anton und Nikolai im Erwachsenenalter, kann man sich den Charakter der beiden schon fast zusammenreimen. Anton sieht aus, wie man sich einen genialen Klaviervirtuosen des 19. Jahrhunderts vorstellt, mit Künstlermähne und durchdringendem Blick. Nikolai, mit bravem Schnauzer und der akkurat hinters Ohr gekämmten Schmalzlocke, macht einen eher ordentlichen Eindruck. So ähnlich war es wohl auch am Klavier: Anton spielte expressiv und aus dem Moment heraus, Nikolai ordentlich und diszipliniert. Sie galten beide als pianistische Ausnahmeerscheinungen. Aber der Ältere, Anton, machte eine internationale Karriere, spielte und dirigierte in ganz Europa und komponierte Werke, die zu ihrer Zeit sehr erfolgreich waren, wenn sie auch heute weitgehend vergessen sind. Nikolai dagegen beschränkte sein Wirken auf seine Heimatstadt. Dort wurde er ein einflussreicher Funktionär, gründete zuerst die Moskauer Abteilung der Russischen Musikgesellschaft und wirkte dann als Professor und Präsident am neu gegründeten Moskauer Konservatorium. Sein pianistisches Talent warf Nikolai Rubinstein dafür zwar nicht ganz weg, aber er setzte andere Schwerpunkte. Sein Bruder Anton soll einmal gesagt haben:

»Wenn Nikolai wirklich daran gearbeitet hätte, wäre er der bessere Pianist von uns beiden geworden.«

Ob das die Wahrheit war oder eine Freundlichkeit unter Brüdern, werden wir nicht herausfinden. Die Rollen waren verteilt: Anton war der Weltbürger, Nikolai der Moskauer Platzhirsch. Auf die Frage, warum er sich als Komponist so sehr zurückgenommen und nur wenige Werke geschaffen hätte, soll er geantwortet haben:

»Anton hat genug für drei komponiert.«

Die größte Fehleinschätzung seines Musikerlebens – und vermutlich eine der wenigen – unterlief ihm ausgerechnet gegenüber seinem Freund Peter Tschaikowsky, den er ansonsten maßgeblich förderte. Dessen erstes Klavierkonzert ließ er als mangelhaft zurückgehen und muss sich dafür bis heute und wohl noch lange in allen Konzert-Programmheften einen Ignoranten schimpfen lassen. Er hat es wieder gutgemacht, indem er später das Konzert als Solist mehrmals aufgeführt hat. 1879 dirigierte Rubinstein die Uraufführung von Eugen Onegin mit Studenten des Konservatoriums. Als er am 23. März 1881 mit nur 45 Jahren in Paris starb, widmete ihm Tschaikowsky sein Klaviertrio in a-Moll. Der Kosmopolit Anton, sechs Jahre älter als sein braver Bruder, überlebte ihn um 13 Jahre. ¶

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