Musikgeschichten: 5. November (1911)

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Monika Beer
Monika Beer
05.11.2018

Dass dem Tenor Joseph Schmidt wegen zu geringer Körpergröße eine veritable Opernkarriere versagt geblieben ist, dürfte weithin bekannt sein. Es gibt dazu ein weibliches Pendant: die Sopranistin Maria Stader, die als Maria Molnár am 5. November 1911 geboren wurde und als erwachsene Frau nur einhundertvierundvierzig Zentimeter maß. Ihre Kindheit im österreichisch-ungarischen Budapest war so sehr geprägt von Armut und Hunger, dass die Heilsarmee die damals Achtjährige aus ihrer Familie nahm und zum Aufpäppeln in die Schweiz schickte. In ihren Erinnerungen schrieb sie später:

»Ich gestehe, dass ich keine Träne vergoss. Die Aussicht, der Trostlosigkeit unseres Jammerdaseins zu entrinnen, machte den Abschied leicht.«

Zunächst war sie bei einer Gastfamilie in Zürich und bei Pflegeeltern in Glattfelden untergebracht, schließlich bei der Familie des Restaurantbesitzers Julius Stader in Romanshorn und in Konstanz, die sie vor der mehrfach drohenden Abschiebung durch die Fremdenpolizei endgültig erst durch Adoption bewahren konnte. Als 1928 aus Maria Molnár amtlich Maria Stader wurde, hatte die junge Schweizerin schon einige Jahre private Gesangsstunden in St. Gallen hinter sich und den konkreten Berufswunsch Sängerin. Nach weiterem Privatunterricht legte sie 1933 in Karlsruhe ihre Bühnenreifeprüfung ab, mit positiven Ergebnissen für Stimme und Vortrag, aber dem negativen Bescheid, dass sie für Bühnenauftritte zu klein sein. Sie ließ sich nicht unterkriegen und setzte ihre Studien fort – bei der Altistin Ilona Durigo in Zürich, bei Therese Schnabel-Behr in Tremezzo und vor allem bei Giannina Arangi-Lombardi in Mailand, durch die sie gewissermaßen in den „Tempel des Belcanto“ eingeführt wurde. 1939 gewann sie mit der Zerbinetta-Arie den Internationalen Gesangswettbewerb in Genf, im selben Jahr heiratete sie den Chordirigenten und Musikschriftsteller Hans Erismann, mit dem sie zwei Söhne haben sollte.

1964 Silversterabend Stader Rigi

Klein, aber mit guter Laune: Stader Silvester 1964. (Schnäggli/CC BY-SA 3.0)

 

Nach ihrem Debüt als Olympia in Hoffmanns Erzählungen entwickelte sich ihre Karriere kriegsbedingt nur langsam. Neben Rundfunkkonzerten waren es vor allem Begegnungen mit namhaften Musikern, die in der Schweiz gastierten oder dorthin flüchteten, die Maria Stader künstlerisch prägten. Mit dem Dirigenten und Mozartforscher Bernhard Paumgartner erarbeitete sie sich ein umfassendes Mozart-Repertoire, die damals kaum bekannten großen Konzertarien inklusive. Als der Krieg vorbei war startete sie ihre Laufbahn als international erfolgreiche Konzertsopranistin, zunächst unter Bruno Walter und Carl Schuricht, vor allem aber unter Ferenc Fricsay, der mit ihr in Gesamtaufnahmen auf Schallplatten auch die großen Mozartrollen einspielte, die ihr mit Ausnahme der Königin der Nacht auf der Bühne verwehrt waren. Das silbrige Timbre ihrer Stimme prädestinierte sie auch für Donizettis Lucia di Lammermoor, die sie mit Fricsay in 22 konzertanten Aufführungen 1956 in Israel gab. Ihr sängerisches Ideal formulierte sie selbst wie folgt:

»Der Gesang muss die natürliche Sprache des Sängers sein. Der Zuhörer muss das Empfinden haben, als sei das menschliche Wesen, das da vor ihm singt, gar nicht in der Lage, sich anders auszudrücken als mit Gesang, als singend.«

Was womöglich auch der Tatsache geschuldet war, dass sängerdarstellerische Auftritte für sie die Ausnahme waren. Laut ihrem Sänger-Kollegen Ernst Haeflinger saß bei einer gemeinsamen Plattenaufnahme für die Deutsche Grammophon in Ungarn „ein kleines Frauchen“ mit in der Kirche, die leibliche Mutter Maria Staders. „Und Maria hat immer gesagt, sie sei nicht gewachsen wegen Unterernährung. Aber als ich die Mutter sah, da wusste ich, die Familie war so.“ Wie groß die kleine Sopranistin war, zeigte sich auch in ihrem Abgang. Nach dreißig aktiven Jahren als Sängerin absolvierte sie 1969 in New York mit dem Mozart-Requiem ihren letzten Auftritt, um anderen Platz zu machen. Obwohl ihre Stimme noch intakt war, sang sie überhaupt nicht mehr – nicht einmal unter der Dusche. 1999 starb sie im Alter von 88 Jahren. Sowohl in Zürich wie in Romanshorn erinnern nach ihr benannte Straßen an sie. ¶

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