Musikgeschichten: 16. Juni (1960)

Herrmanns blutige Mörderstreicher

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Malte Hemmerich
Malte Hemmerich
16.06.2018

Am 16. Juni sahen die Amerikaner ihren ersten wahren Psychothriller im Kino am Broadway. Begeistert waren sie nicht. Zumindest die Kritiker ergingen sich in langen Litaneien über die Brutalität des Films. Die Menschen kümmerte das wenig. Das Premierenpublikum „jaulte und schrie“ und saß in der Duschmordszene ganz „versteinert“ da. Vom Tag der Premiere an waren die Psycho-Vorstellungen ausverkauft – allein Hitchcock verdiente mit seinen Filmrechten 15 Millionen Dollar. Weit weniger Geld bekam sein Komponist Bernard Herrmann für seine Arbeit an Psycho, den er doch durch seine erschlagenden Streicherschreie erst vollendete und laut Hitchcock somit den Erfolg des Films zu 33% mitverantwortete.

Das Minibudget von einer knappen Million und die Vorstellungen des Regisseurs von einer jazzigen Filmmusik, die gerade in Mode war, schreckten den Starkomponisten Herrmann erst einmal ab. Beinahe wäre es nicht zur berühmtesten Filmmusik der Geschichte gekommen. Denn: Der Komponist verachtet die neuartigen, eingängigen Filmmusiken vieler Kollegen.

»Die Produzenten bekommen keine ‚Hits‘ oder ‚gängige Kompositionen‘, sie bekommen eine Menge Müll.«

Und kanzelt jede weitere Diskussion darüber ab: "Dieser Müll ist es nicht Wert in einer ernsthaften Diskussion über Filmmusik erwähnt zu werden. Denn wenn wir über Bücher diskutieren, dann reden wir ja auch nicht über Comics – oder?" Doch der Starregisseur Hitchcock bittet ihn mehrmals persönlich um seine Mitarbeit und so macht Herrmann schließlich sein Ding und schreibt, kostengünstig und gegen Hitchcocks Anweisungen, für kleines Streichorchester. Der immerwährende Ostinatosound passt bestens zum stetig bedrohlichen Untergrundgrollen im Thriller, der scheinbar harmlos beginnt. Doch die Musik erahnt das Schreckliche voraus und lässt sich auch in der Mordszene im Bates Motel nicht lumpen. Nah an den Mikros und mit der Vortragsbezeichnung fortissimo brutale beißen sich die hohen Streicher in jeden Gehörgang. Offensichtlich mit Erfolg: Die Engländer wählten den Moment und seine Musik zum unheimlichsten der Filmmusik.

Geplant war die Szene im Bad eigentlich ohne jegliche Musik. Als Hitchcock Herrmanns Musik dazu hört, entscheidet sich der Meister der Spannung sofort um. Mehr noch. Er veranlasst, dass Herrmanns Name im Vorspann direkt vor seinem genannt wird. Eine ganz besondere Ehre für eine, auch heute noch, immer einmalige Filmmusik. ¶

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