Vieles verändert sich schnell in unseren Tagen, aber manchmal könnte man auch am Schneckentempo der Weltgeschichte verzweifeln. Sieht und liest man heute Berichte über die systematische Benachteiligung der schwarzen Bevölkerung in den USA, möchte man sich die Augen reiben. Kann das wirklich noch sein, so viele Jahrzehnte nach dem offiziellen Ende der Rassentrennung? Auch deshalb geht der Blick immer wieder wehmütig und hoffnungsvoll zurück zu den Pionieren. In der Musik hieß eine von ihnen Florence Beatrice Price, geboren am 9. April 1887.
Florence Price.
Florence wuchs nicht als schwarzes Unterschichtenmädchen auf, sondern in einer gut bürgerlichen Familie mit einem Zahnarzt als Vater. Ihre Heimat war Little Rock, die Hauptstadt von Arkansas, später berühmt als erster politischer Kampfplatz des Präsidenten Bill Clinton. Eine Stadt, in der Rassismus selbstverständlich war: Zu Dr. Smith, Florences Vater, durften weiße Patienten nur heimlich gehen. Florence bekam zu Hause eine solide musikalische Grundbildung und durfte Musik studieren, tarnte sich aber sicherheitshalber als Mexikanerin, um den üblichen Vorurteilen zu entgehen. Sie unterrichtete an der Universität von Atlanta, kehrte aber 1912 zurück nach Little Rock, um den Anwalt Thomas Price zu heiraten. Schwarz, Frau und Mutter – die Aussichten auf eine große musikalische Karriere waren gleich null. Aber Florence Price komponierte unverdrossen, Klavierstücke, Kammermusik, Solokonzerte, Symphonien.
Der erste Satz von Florence Prices erster Symphonie.
Einen Schub bekam ihre Karriere erst wieder, als sie mit ihrer Familie das rassistische Arkansas verließ und nach Chicago übersiedelte. Hier studierte sie noch einmal, bekam neue Impulse und wurde im Rahmen des Möglichen berühmt. Der Höhepunkt ihrer Karriere war, dass eine ihrer Symphonien von einem der großen amerikanischen Orchester aufgeführt wurde. In einem Konzert mit dem wenig schmeichelhaften Titel The Negro in Music spielte das Chicago Symphony Orchestra am 15. Juni 1933 Musik von afroamerikanischen Komponisten, darunter die Symphonie Nr. 1 in e-Moll von Florence Price. Die Chicago Daily News schrieben über die Symphonie:
»Ein fehlerfreies Werk, ein Werk, das seine Botschaft mit Entschlossenheit und Leidenschaft vermittelt. Es hat einen Platz im symphonischen Repertoire verdient.«
Dazu ist es nicht gekommen. Nach ihrem Tod 1953 gerieten die Stücke von Florence Price in Vergessenheit und werden erst jetzt nach und nach wieder entdeckt. Prices Musik ist originell. Die Symphonien wollen eine Brücke zwischen Dvořák und Gershwin schlagen, ihre Bearbeitungen von Folksongs und Kirchenmusik der People of Color zeigen, dass sie durchaus eine emanzipatorische Absicht verfolgte. Private Initiativen versuchen inzwischen, das Werk von Florence Price zu sichern und auch in Aufnahmen zugänglich zu machen. Das hat sie ohne Zweifel verdient, denn unter den Komponisten, die sich auf die Suche nach einer authentischen amerikanischen Nationalmusik gemacht haben, sollte sie einen festen Platz haben. ¶