POST VON BEETHOVEN #5: 6. Juli 1812

An die „unsterbliche Geliebte“: »Mein Engel, mein alles, mein Ich«

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Post von Beethoven: Briefe vom Meister, in loser Folge, geöffnet von Holger Noltze.

Ludwig van Beethoven
Ludwig van Beethoven
19.06.2020

Von diesem Brief, einer erschütternd rückhaltlosen Herzensergießung, in drei Etappen geschrieben am Morgen und Abend des 6. und am Morgen des 7. Juli 1812 im böhmischen Bad Teplitz, wissen wir nicht nur nicht, für wen er bestimmt war. Wir wissen nicht einmal, ob er überhaupt abgeschickt wurde. Denn er fand sich, wohlversteckt, in einem Geheimfach in Beethovens Sterbezimmer. Es begann das Spiel der Spekulationen. Ludwig und die Detektive.

„An die Geliebte“, gewidmet Antonie von Brentano. War sie die „Unsterbliche“?

Beethoven und die Frauen, seine immer wieder gescheiterten überirdisch großen Lieben, die ewig vergebliche Sehnsucht nach Eheglück, das oft gesuchte kleine käufliche Glück mit irdischen Frauen: Beethovens Ideen-Kunstwerke nahmen furchtlos die ganze Menschheit ins Visier, er aber verpasste die Erfüllung im Privaten.

»leben kann ich entweder nur ganz mit dir oder gar nicht, ja ich habe beschlossen in der Ferne so lange herum zu irren, bis ich in deine Arme fliegen kann... «

So wurde der Brief im Nachlass zugleich Gegenstand der Vertuschung wie der bisweilen peinlichen Ausforschung des Liebeslebens des großen unglücklichen Mannes, weit über seinen Tod hinaus. Was wir wissen: Beethoven war, auf dem Weg in die böhmischen Kurbäder, am 1. Juli in Prag angekommen. Er trifft sich abends mit dem Freund Karl August Varnhagen. Nur am letzten Abend erscheint er nicht wie verabredet und bittet nachträglich um Entschuldigung wegen eines

»Umstands, den ich nicht vorher sehn konnte.«

War es eine unvorhergesehene, womöglich leidenschaftliche Begegnung mit seiner Seelenfreundin Antonie von Brentano, die er 1810 in Wien kennengelernt hatte? – Das Ehepaar Brentano war am 3. Juli in Prag eingetroffen, um am nächsten Morgen nach Karlsbad weiterzureisen. Beethovens Brief an die unsterbliche Geliebte adressiert die Unbekannte in „K.“ Später fährt er weiter nach Karlsbad und quartiert sich in eben dem Gasthaus ein, in dem Antonie und Franz Brentano wohnen: Es trägt den schönen Namen „Das Auge Gottes“.

Der liebe Gott sieht alles. Sah er, in jener Prager Nacht, einen Ehebruch, mit dem Ehemann in gefährlicher Nähe? Jedenfalls eine Begegnung, die Beethoven aufs tiefste erschütterte und deren Dokument er bis zu seinem Tod geheim verwahrte?

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Antonie von Brentano

(Foto: Public Domain)

Es könnte so gewesen sein. Die Puzzlesteine passen. Anderes passt auch zu den Alternativ-Theorien: Auch mit der unglücklichen Josephine von Deym, der zwischen 1804 und 1807 flammende Liebesbriefe geschrieben hatte, könnte es zu einer unvorhergesehenen Begegnung in Prag gekommen sein, sogar mit der Folge der Geburt einer Tochter neun Monate danach. Auch die Schwägerin Bettina Brentano wurde erwogen. Auch andere. Wir wissen es nicht.

Wir wissen, dass Antonie von Brentano nie mehr nach Wien kam, das Elternhaus 1832 verkaufte, in Frankfurt einen prominenten Salon führte und sich politisch-karitativ betätigte: Sie gründete 1813 den ersten patriotischen Frauenverein Deutschlands, eine offenbar patente Frau. Das Bild Beethovens hielt sie hoch, und 1820 gab sie ein Porträt des Genies bei dem Maler Joseph Karl Stieler in Auftrag. Es wurde das bekannteste Beethovenbild, das mit dem weißen Kragen, dem roten Schal und dem eindringlichen, etwas finsteren Blick, unendlich vervielfältigt. Es wurde das Bild, das wir uns von „Beethoven“ machen.

Über die Geschichte dahinter, Antonies „Wahlverwandtschaft“ mit dem schwierigen Genie, verrät es nichts. Und sie, die erst 1869 starb, 88 Jahre alt, behielt sie für sich. ¶

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