Society of Music: 3. Februar 2021

Talk of the Town

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Holger Noltze
Holger Noltze
03.02.2021

Eben sehe ich ein Video-Tutorial, das in ein paar Schritten zeigt, wie man sich von Facebook abmeldet. Es scheint weniger ein technisches Problem als ein psychologisches: Wer findet, dass er hier „Freunde“ findet und begeistert teilt und Anteil nimmt, wo man gerade ist oder die anderen: Wie toll das Hotel ist (früher), oder auf welche originellen Einfälle einen der Lockdown bringt (2020/21), was es heute Abend Leckeres gibt und so weiter, wird zögern, sich davon zu verabschieden. Die Verlustängste sind erheblich: Verliere ich, wenn mein Facebook-Account erlischt, zehntausend Freunde, was macht man mit all der Zeit, die plötzlich frei wird, mit Aufmerksamkeits- und Wirksamkeitsdefiziterfahrungen usw. Das Video sagt, man kann es schaffen. Für mich persönlich wäre es kein sehr mutiger Schritt, weil ich immer nur halbherzig dabei war, auch bei Instagram, auch bei Twitter, nachdem mich der oft zum Misslingen führende Zwang zum Aphoristischen bald ermüdet hat.

Gerade ist nun Clubhouse das nächste große Ding, technisch eine Audio-App für Live-Konversationen, sozialpsychologisch ein Club, nämlich ein Ort mit Zugangsbeschränkung: Rein kommt man nur mit Einladung, und die werden künstlich begrenzt. Zwei Einladungskarten, da überlegt man sich, wen man dabei haben möchte. Zweite Regel, und das bedient den Arroganz-Hang von Clubs: Du brauchst ein iPhone. Dritte Regel: Es gilt das gesprochene Wort im Augenblick, nichts wird aufgezeichnet, gesagt ist gesagt, weg ist weg. Man verabredet sich also, mit mehr oder weniger bestimmten Themen, zu Gesprächen, lädt ein, mit wem man sich gern unterhielte, freut sich über Zuhörer*innen, die sich einschalten oder nur mal kurz drin sind und dann wechseln zum nächsten Salon.

 

Clubhouse techcrunch com

Clubhouse – der letzte Schrei?

(Foto: techcrunch.com)

Salon oder Laberladen: das ist eben die Frage, sie hängt natürlich an denen, die das Wort führen, und sie wird darüber entscheiden, ob Clubhouse, jenseits des Börsenwerts, ein Erfolg wird. Denn über die endlosen Belanglosigkeiten der Posts von Selbstgebackenem kann ich mit leichter Daumengeste wegwischen, ein Tweet ist fix gelesen und vergessen, doch einem Gespräch folge ich nur, wenn es lustig oder inhaltlich irgendwie interessant ist. 

Nach meiner ersten und vor der zweiten Gesprächsrunde bin ich einstweilen neugierig, es ging und wird um Musik gehen, und das ist jedenfalls kein schlechtes Gesprächsthema. Es ist anders als Radio, man spricht auch anders. Ich ließ mich zu einer harmlos leichtsinnigen Bemerkung zur deutschen Kulturstaatsministerin hinreißen, die ich im Radio so vielleicht nicht gemacht hätte. So ein parlando kann unterhaltsam sein, muss aber nicht. Kleine Hoffnung: Womöglich begünstigt der Club nicht nur Gelaber, sondern öffnet (halb)diskrete Räume eines vertieften Redens zur Sache, zum Beispiel Musik. Leichtsinn mit Tiefsinn, das wäre ja was. Befürchtungen, andererseits: Dass es doch ein Ding der Großsprecherei wird, kein Salon, sondern ein Ort selbstermächtigten Gekeifes, schlimmstenfalls Ressentiments und Hass. Obwohl dem die Knall-Parole ja doch näher liegt als Eloquenz. Wer in den Club darf, sollte nicht nur das iPhone entscheiden, und vielleicht wären ein paar Türsteher nicht schlecht.

Ansonsten gibt es dafür ein Schaltfeld, das mir unbedingt sympathisch ist: „Leave quietly“. ¶

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