THE SOCIETY OF MUSIC: 12. April 2023

…ohne Schatten

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Holger Noltze
Holger Noltze
12.04.2023

Mit der Frau ohne Schatten tut sich das Publikum schwer, und vielleicht spiegeln sich darin ein wenig die Schwierigkeiten, die Hugo von Hofmannsthal, der feinsinnige Dichter, und Richard Strauss, das skatspielende Musik-Genie, mit dem Stoff hatten (und über die man im Briefwechsel der beiden genauestens informiert wird). Alles wirkt hier schwer bedeutend und kompliziert, dabei ist es ist im Kern einfach: Wir haben zwei kinderlose Paare, ein kaiserliches und eins aus der düsteren Menschensphäre. Der Frau des Färbers soll ihr Schatten abgehandelt werden, das Zeichen für Fruchtbarkeit und Kinderkriegen. Die Kaiserin und ihre mephistophelische Begleiterin, die Amme, fliegen deshalb hinab zur Erde, man spiegelt der Färberin in ihrer desolaten Welt Wunderbares vor, sie geht erst drauf ein, aber dann geht der Kaiserin auf, dass sie ihr Glück nicht auf dem Unglück des anderen Paares finden kann, und „ich will“ wandelt sich in „ich will nicht“, und dann löst sich alles, Märchen eben, Wunder der Verwandlung, würde Hofmannsthal sagen.

Nun ist das alles in ein dichtes Symbolnetz gewoben, bei dem sich schon die Übersicht verlieren lässt, und Strauss ließ sich nicht lumpen und komponierte dazu seine vielschichtigste, in vielem modernste Partitur. Der orchestrale Aufwand ist enorm, und allein einen Sänger-Cast zusammenzubringen, der die Anforderungen auch nur bewältigt, ist eine Herausforderung für jedes Haus. Und wenn das alles geschafft ist, bleibt immer noch die Frage der Vermittlung: Wird man ein Publikum für diese seltsam wunderbaren Schattenverwicklungen interessieren können?

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Miina-Liisa Värelä und Wolfgang Koch als Färberehepaar in Baden-Baden.

(Foto: Martin Sigmund)

Im Festspielhaus Baden-Baden durfte man deshalb etwas bang auf die Eröffnung der Osterfestspiele schauen, und dass das Wagnis belohnt wurde, lag nicht nur an der Exzellenz der Berliner Philharmoniker unter ihrem FroSch-erfahrenen Chef Kirill Petrenko, an einer Reihe außerordentlicher Sängerinnen und Sänger; es lag auch an der klugen Regie der amerikanisch-österreichischen Regisseurin Lydia Steier, die das streckenweise nun doch recht verstiegene Kunstmärchenspiel in einen packenden, optisch überwältigenden Theaterabend verwandelte. Einen Schlafsaalalptraum eines sehr jungen Mädchens, mit den richtigen Fragen an das kulturelle Mega-Thema des Kinderkriegens. Belohnt wurde auch das Wagnis, einer gerade Vierzehnjährigen zuzutrauen, diese Perspektive über vier Stunden Dauerpräsenz auf der Bühne zu beglaubigen. Am Ende, zum rauschhaft nichtendenwollenden Jubelquartett der zwei verwandelten Paare, sehen wir sie wie von Sinnen in der Erde wühlen, ahnen, wonach, und werden dieses Bild lange nicht los. ¶

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