THE SOCIETY OF MUSIC: 9. Februar 2022

Ohrentheater

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Georg Holzer
Georg Holzer
09.02.2022

Einem Operndramaturgen bleibt nichts anderes übrig, als dem Publikum schafsgeduldig immer aufs Neue zu erklären, warum die Oper stirbt, wenn man sie auf der Bühne nicht neu interpretiert. Es gibt allerdings Standard-Sprüche konservativer Opernbesucher, bei denen selbst ein braves Dramaturgen-Schaf wie ich immer wieder vor Wut rote Ohren kriegt. Einer davon lautet: „Das Gute an der Oper ist ja, dass man die Augen zumachen kann, wenn einem die Inszenierung nicht gefällt.“ Da liegt mir dann stets die Antwort auf der Zunge: Wenn du nicht kapierst, dass Oper eine Verbindung von Szene und Musik ist und dass gerade das ihre Kraft ausmacht, dann kannst du auch einfach daheimbleiben. Sage ich natürlich nie, denke ich aber immer.

Interessant ist, dass es eine Form der Darbietung von Opern gibt, die sich eines guten Rufs erfreut und genau diese von mir als wesentlich empfundene Verbindung von Theater und Musik verweigert: die konzertante Aufführung. Konsequenterweise laufe ich seit Jahren mit der Meinung herum, dass solche Opernaufführungen ohne Bühnenbild, Kostüme und klare Interpretation langweilig sind und dass man besser einen Bogen um sie machen sollte. Ganz ehrlich bin ich dabei allerdings nicht. Ich habe selbst schon einige konzertante Aufführungen erlebt und bin bisher aus keiner genervt oder gelangweilt hinausgegangen. So erinnere ich mich an eine Manon in der Dortmunder Oper vor knapp zehn Jahren, die dieses Stück bis heute zu einer meiner Lieblingsopern gemacht hat. Oder eine Elektra in Osnabrück, die viel eindrücklicher war als die laue szenische Version eines internationalen Großregisseurs, die ich wenig später an der Prager Staatsoper sah. Am wenigsten mochte ich die konzertanten Mozart-Opern von Currentzis, weil sich Mozart schlecht für eine Aufführung ohne Szene eignet, aber selbst die waren musikalisch natürlich interessant.

Joana Mallwitz Querformat2

Theater für die Ohren, dirigiert von Maestra Mallwitz.

(Foto: Ludwig Olah)

Vor zwei Wochen hat die Nürnberger Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz eine konzertante Aufführung von Pelléas et Mélisande geleitet. Das war anders geplant, denn wir hatten eine komplette Inszenierung vorbereitet, die dann aber wegen zu vieler Corona-Fälle in den Werkstätten nicht rechtzeitig umgesetzt werden konnte. Die Reaktionen des Publikums und der Presse waren enthusiastisch – zu Recht. Geschenkt, dass sich ein Rezensent nicht zu blöd war, den oben zitierten Satz in abgewandelter Form zu verwenden. Es war ein guter Abend mit großartigen Sängerinnen und Sängern, die es schafften, Debussys absonderlich-faszinierendes Stück plastisch werden zu lassen. Ich habe diese drei Stunden Ohrentheater sehr genossen. Trotzdem blieb ein komisches Gefühl. Ich kenne diese Oper gut und habe sofort Situationen vor meinem inneren Auge, wenn ich sie höre. Musiker sagen oft, sie bräuchten die Szene nicht, weil sie ohnehin alles in der Musik hörten. Das glaube ich ihnen. Aber die meisten Zuschauer sind eben keine Musikerinnen und keine Spezialisten. Sie wollen Figuren und eine Handlung entdecken. Das ist im Konzert nicht unmöglich, aber viel schwieriger. Deshalb glaube ich, dass konzertante Opern eine gute Sache sein können, aber eher für Fortgeschrittene. Der Regisseur und ich haben uns jedenfalls schon beim Verlassen des Saals zugeraunt, wie sehr wir uns darauf freuen, das Stück dann irgendwann auch zu inszenieren. ¶

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