Jedes Mal, wenn ich in einen Liederabend gehe, frage ich mich, warum ich das nicht öfter tue. Liederabende sind meistens eine Wohltat. Zwei Menschen, eine Stimme, ein Klavier. Wenn es gut läuft – und das geschieht meiner Erfahrung nach oft –, entsteht ein Raum der Konzentration und Versenkung, in der Publikum und Künstler inniger miteinander kommunizieren, als das normalerweise bei großen Orchesterkonzerten oder Opernaufführungen passiert. Lieder sind eine Art Grundform der musikalischen Darbietung. Wie alles, was einfach, aber gut ist, bieten sie die Möglichkeit ungeahnter Entdeckungen. Und wenn sogar einmal andere Komponisten als Schubert oder Schumann vorkommen, lernt man immer etwas Neues kennen.
So war es auch Anfang Februar, als die junge Mezzosopranistin Corinna Scheurle einen Liederabend im Nürnberger Opernhaus gab. Sie sang Lieder von Mussorgsky und Brahms, vor allem aber zwei Zyklen von Bartók, die hierzulande selten auf den Programmen stehen. Bartóks Mischung aus Volksliedton und Avantgarde des 20. Jahrhunderts ist etwas sehr Eigentümliches, Sprödes und doch Anziehendes. Das besondere Erlebnis eines Liederabends stellte sich jedenfalls ein.
Ein neuer Stern am Musikhimmel: Thomas Guggeis.
(Foto: dpa)Das lag jedoch nicht nur an der Sängerin, sondern auch an dem jungen Mann, den sie als Begleiter mitgebracht hatte. Er hieß Thomas Guggeis, und wenn dieser Name jemandem bekannt vorkommt, hat er sich nicht getäuscht. Der rising star der deutschen Dirigenten-Szene, Staatskapellmeister in Berlin, ab 2023 mit dann immerhin 30 Jahren Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt, findet offenbar immer noch Zeit, ungewöhnliche Liedprogramme und Kammermusik-Abende einzustudieren. Wer ihm beim Musizieren zuschaut, wundert sich darüber nicht. Man denkt keine Sekunde darüber nach, ob ihm das, was er da tut, schwer fallen könnte. Es wirkt bei ihm, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, diese schweren Klavierparts zu spielen. Guggeis spielt, als sei das Klavier ein Teil von ihm oder er ein Teil des Klaviers. Er vollzieht die Dramatik und die Wendungen der Musik mit, ohne dass es im Mindesten aufgesetzt oder theatralisch erscheint. Es ist, als verwandle sich der ganze Mann in Musik. Ein Mensch, der nicht Musik macht, sondern durch und durch Musik ist. Dabei kommt die Musik nicht als himmlische Gabe über ihn: Ich habe gehört, dass er bis zum Einlass des Publikums auf der Bühne geübt hat. Auch Thomas Guggeis muss arbeiten, wahrscheinlich sogar sehr viel, aber man merkt es ihm nicht an. So Musik machen zu können, ist eine Gnade für den Musiker und für das Publikum. Wie gut, dass auch wichtige Orchester das erkannt haben. ¶