Gehen wir noch mal zurück an den Anfang. Monteverdi und die anderen Opernkomponisten des italienischen Frühbarocks machten die Kunstform Oper möglich, indem sie ihre Kompositionsweise grundsätzlich umstellten. Es sollte nicht mehr die Polyphonie herrschen, also der Zusammenklang verschiedener eigenständiger Stimmen, sondern es musste die Verständlichkeit des Textes im Mittelpunkt stehen, um so etwas wie Musiktheater zu ermöglichen. Bei den geistlichen Gesängen, die sie bisher komponiert hatten, musste man die Worte nicht verstehen, weil ohnehin jeder Zuhörer die geistlichen Texte kannte. Eine Oper aber musste verstanden werden – die parola scenica war geboren.
Seitdem ist es mit der Textverständlichkeit in der Oper nicht besser geworden, ganz im Gegenteil. Eigentlich hat man sie aufgegeben. Die Musik wurde komplexer, die Orchester größer, die Handlungen waren oft so schematisch, dass es auf Details des Textes nicht mehr ankam. Es entstand der Allgemeinplatz, dass es ohnehin besser sei, in der Oper nichts zu verstehen, weil die Musik zwar oft herrlich, die Texte aber einigermaßen schwachsinnig wären. Was in seltenen Fällen zwar zutrifft, aber im Großen und Ganzen sind Operntexte besser und interessanter als ihr Ruf.
Wie gut, dass es Übertitel gibt.
(Foto: Multimedia Diskont)Aber verstehen kann man sie selten, sogar dann, wenn eine Oper in der eigenen Muttersprache gegeben wird. Von Richard Strauss gibt es einen verzweifelten Brief, in dem er beklagt, dass die Textbücher nicht rechtzeitig zur Uraufführung einer seiner Opern fertig gedruckt seien, sodass das Publikum keine Chance habe, irgendetwas zu verstehen. Er war sich des Problems also durchaus bewusst und hatte keinen Ehrgeiz, ihm anders zu begegnen als durch die rechtzeitige Vorab-Veröffentlichung der Texte. Ein Fall, mit dem ich mich in den letzten Wochen beschäftigt habe, ist Verdis letzte Oper Falstaff. Das Libretto von Arrigo Boito ist ein literarisches Meisterwerk, das schon zu seiner Zeit viel zu anspruchsvoll für die Zuhörer gewesen sein dürfte. Als ich den Text durchgearbeitet habe, bin ich massenhaft auf Worte gestoßen, die ich nicht mal in einem Wörterbuch finden konnte, weil Boito sie aus lange versunkenen Sprachregistern entliehen hat. Weil sein Text für eine Komödie außerdem zu lang ist, hat Verdi dem abgeholfen, indem er mehrere große Ensembles komponiert hat, in denen bis zu acht Personen gleichzeitig unterschiedliche Texte singen. Es ist komplett unmöglich, hier irgendwas zu verstehen.
Die Übertitel, die zum Glück seit etwa 20 Jahren in den Opernhäusern Standard sind, helfen in einem solchen Fall auch nur bedingt. Viel mehr als eine Orientierung können sie nicht geben. Das ist viel besser als nichts, aber von einem komplexen Text bekommt man dadurch höchstens eine Ahnung. Sicher gibt in einer Oper die Musik den Ton an, setzt die Stimmungen und Atmosphären, und in den wirklich großen Opern tritt letztlich die Musik an die Stelle des Textes. Trotzdem ist es eine vertrackte Geschichte mit der Oper und ihrem Text. Man würde so oft gerne mehr verstehen. Meistens würde es sich lohnen. ¶