Mein Weg zur Oper war dornig. Das lag unter anderem daran, dass mein Stammhaus als Student die Deutsche Oper Berlin war. Dort bekam man in den 1990er Jahren immer Karten, was leider auch seinen Grund hatte. Intendant war Götz Friedrich, eine Regisseurs- und Dramaturgenlegende, der aber nicht mehr die Kraft oder Motivation hatte, ein so wichtiges Opernhaus zu leiten. Also dümpelte das Theater vor sich hin, produzierte bestenfalls Mittelmaß und besetzte in fast allen weiblichen Hauptrollen die Sopranistin Karan Armstrong, Friedrichs Gattin, die damals schon aufs Rentenalter zuging. Als ich sie zum etwa fünften Mal als jugendliche Liebhaberin gesehen hatte, erklärte ich meinem besten Freund beim Bier, die Kunstform Oper sei am Ende und müsse auf meine weitere Anteilnahme fortan verzichten.
Götz Friedrich († 12. Dezember 2000)
(Foto: Deutsche Oper Berlin)Damals sah ich auch eine Aufführung, die mir sehr im Gedächtnis geblieben ist, wenn auch nicht positiv. Es war ein Rosenkavalier in der Regie des Hausherrn, wahrscheinlich gar nicht arg misslungen, in meinen Augen aber eine höchst seltsame Absonderlichkeit. Ich war noch nie mit einer Oper von Strauss in Berührung gekommen, sowohl die Story als auch die Musik stellten mich vor ein völliges Rätsel. Vom Text verstand ich fast nichts, weil Übertitel damals noch nicht üblich waren. Von der Musik blieb nur Ochs’ schräger Walzer irgendwie in meinen Gehörgängen haften, ansonsten empfand ich diese vielen Stunden weitgehend als kakofonisches Missvergnügen.
Heute ist der Rosenkavalier für mich ein sehr geliebtes Stück und ein Opern-Schlager zum Mitsummen. Ich habe damals nicht aufgegeben, sondern geahnt, dass in der Oper trotz ihrer Absurditäten etwas verborgen sein könnte, das mich interessieren und faszinieren könnte. An den Berliner Rosenkavalier denke ich aber noch oft, weil er mich daran erinnert, wie schwer ein „erstes Mal“ in der Oper sein kann. Man muss als junger Mensch viel guten Willen mitbringen, um sich für die Erlebnisse eines alten Idioten im Wien der Zeit Maria Theresias zu interessieren. Oder, um es mal deutlicher zu sagen: Dafür muss man schon ein echter Freak sein.
Gerade tauche ich aus einer langen Beschäftigung und Probenzeit mit einer anderen Strauss-Oper auf, der Frau ohne Schatten. Sie ist musikalisch vielleicht ein bisschen süffiger als Der Rosenkavalier, aber ihre Geschichte ist noch viel schwerer nachzuvollziehen. Um zu verstehen, worum es hier wirklich geht, haben wir nicht nur die übliche Vorbereitungszeit gebraucht, sondern waren auch um die Corona-bedingte zweijährige Verlängerung ganz froh. Am Ende haben wir eine Version auf die Bühne gebracht, die die Geschichte so klar wie möglich macht und, glaube ich, die Zuschauer erreicht hat. Aber woher weiß ich, dass nicht junge Menschen in unseren Aufführungen sitzen, die das alles einfach nur völlig abwegig finden?
Die Frau ohne Schatten habe ich übrigens kurze Zeit nach dem Rosenkavalier in München gesehen, in einer Inszenierung, die vom japanischen Nō-Theater inspiriert war. Auch hier habe ich rein überhaupt nichts verstanden und fand es einfach nur furchtbar. Manchmal frage ich mich, wie es nach solchen ersten Malen dazu kommen konnte, dass ich die Oper irgendwann lieben gelernt habe. Leicht hat sie es mir jedenfalls nicht gemacht. ¶