Bei einem dürften wir uns einig sein: In den letzten Monaten hat es mehr Angst und Besorgnis gegeben, als Anlass zur Freude. Das war ein Hauptgrund dafür, warum ich mich dazu entschieden hatte, nicht über unser Social-Distance-Lockdown-Leben zu schreiben. Auch nicht darüber, was dieses für die Musikindustrie und die Künstler bedeutet. Es ist Balsam für die Seele, ab und zu vom Weltgeschehen abgelenkt zu werden. Außerdem ist es auch eine journalistische Pflicht, die Themen hochzuhalten, die vorher wichtig waren – und es auch danach noch sein werden. In diesem Monat breche ich meine eigenen Regeln, um einen der raren Silberstreifen am Horizont ins Rampenlicht zu stellen: Das Kammermusik-machen in den ultimativsten Kammermusikumgebungen überhaupt, in der Tat sogar die ursprünglichen: Im eigenen Zuhause.
Igor Levits Set-Up für seine Twitter-Hauskonzerte.
Jeder, der auch nur ein bisschen Zeit in den sozialen Medien verbringt, hat sie bemerkt, die große Anzahl der Künstler und Künstlerinnen, denen zwar die große Bühne genommen wurde, die jetzt aber intime Solo-Auftritte aus ihrem Zuhause posten oder eben live streamen.Ich bin wohl nicht die Einzige, der es irgendwie Spaß gemacht hat, zu beobachten, bei wem sich Noten und Kaffeetassen auf dem Klavier gestapelt haben und wessen Übe-Ort dem makellosen, minimalistischen Zen gleicht. Diese voyeuristischen Freuden mal beiseite gelassen, hat mich die Schönheit vieler Aufführungen gefesselt, ihre unperfekte Schlichtheit. Die makellose Akustik eines Konzertsaals eingetauscht gegen die eines Wohnzimmers, aufgenommen mit Amateur-Equipment ohne Tonmeister, der scharfe Kanten glatt schleift. T-Shirts statt Abendgarderobe; überhaupt eine angenehme und vertraute Atmosphäre, keine formelle oder gar angespannte. Vieles davon fand ich überaus bewegend, und vielleicht haben sich Künstler ihrem Publikum selten so nahe gefühlt.
Natürlich ist das für die großen Stars in normalen Zeiten kein praktikabler oder rentabler Weg, abgesehen von dem einen oder anderen Salonkonzert im Benefiz-Kontext. Dennoch, um beim “Es muss nicht perfekt sein”-Thema zu bleiben: Mir wurde wieder einmal klar, dass ein Konzert eben nicht von einem berühmten Solisten gespielt werden muss, damit es Nahrung für die Seele ist. Eine meiner glücklichsten Lockdown-Erinnerungen ist die an ein sehr entspanntes Konzert, das ein befreundeter Journalist und Pianist über Zoom gegeben hat. Eröffnet wurde es mit Busoni – und beendet, indem er jazzige Publikumswünsche annahm. Der Ton war nicht gerade gut – und man konnte anderen Leuten dabei zuhören, wie sie gerade kochten und nebenbei den Stream verfolgten (da hat wohl jemand vergessen, das Mikrofon auszuschalten…). Aber: Mein Bildschirm zeigte viele strahlende und wertschätzende Gesichter. Das Ganze hatte eine relaxte, gesellige Intimität, die es einfach besonders gemacht hat.
Ich kann es kaum erwarten, dass die Konzertsäle wieder öffnen. Dennoch, es ist großartig, dass ich so nebenbei die Freude an Musik wiederentdeckt habe, die nicht mit dem Anspruch an Perfektion oder Zurschaustellung gespielt wird, sondern einfach, um uns zu vereinen. Davon will ich mehr, auch wenn der Lockdown vorbei ist. ¶