THE SOCIETY OF MUSIC: 9. Oktober 2019

Handys aus!

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Charlotte Gardner
Charlotte Gardner
09.10.2019

Es passiert nicht oft, dass eine Pressemitteilung in meinem E-Mail-Postfach sofort meine ungeteilte Aufmerksamkeit bekommt. Aber genau das war der Fall, als letzte Woche bei mir eine E-Mail aufpoppte. Das Lincoln Center in New York und das White Lights Festival, das in diesem Monat seine zehnte Ausgabe feiert, informierten über ihre Initiative, Konzerte smartphonestörungsfrei zu halten.

Wie sie dieses Wunder wahr werden lassen wollen, dazu gleich mehr. Vorher braucht es hier erstmal eine Hasstirade, denn wir alle kennen das, oder nicht? Wundervoll verloren erlebt man eine prachtvolle Performance. Dann, kurze Zeit später, zerplatzt die magische Blase durch den plötzlichen Schrei eines Handyklingeltons. Oder auch durch den grausamen Vibrationsalarm. Mein größtes Ärgernis ist aber “nur” das blaue Licht eines Displays, das ein paar Sitze vor mir aufleuchtet. Es scheint nicht anzukommen, egal wie viele höfliche Ansagen es vor dem Konzert gibt. Immer noch denken die Leute, dass ihr Handy ja eine Ausnahme sei, und dieses Thema spukt mir seit einigen Wochen im Kopf herum. Erstens, weil ich letztens beim Abschlusswochenende des neuen Tsinandali Festivals in Georgien das schlimmste Smartphone-Publikum aller Zeiten erlebte. Die erste Hälfte eines Konzerts zum Beispiel wurde trotz vorheriger Ermahnung so regelmäßig von Klingeltönen gestört, dass ein genervter Mitarbeiter des Festivalteams in der Pause auf die Bühne ging. Er bat um Rücksichtnahme für die Musiker und erinnerte daran, dass das Konzert zudem gefilmt werde. Trotzdem klingelte es in der zweiten Hälfte erneut. Letzte Woche brach auch Anne Sophie Mutter bei einem Konzert mit den Cincinnati Symphony Orchestra mitten in Beethovens Violinkonzert ab, um eine junge, filmende Dame zu informieren, dass diese entweder sofort aufhören sollte, oder Mutter den Saal verlassen würde. Manche argumentieren nun, dass so eine Ansage Mutters junge Menschen aus Klassikkonzerten jagen könnten, aber ich muss ja wohl kaum sagen, was ich von solchen Argumenten halte.

cell phone 690192 1920

Nun zurück zum Lincoln Center und der großen Ankündigung, dass dieser, als erster Klassik-Veranstalter, bei ausgewählten Konzerten das System Yondr nutzen wird. Das soll für smartphonefreie Performances sorgen, indem das Publikum angehalten wird, während der Vorstellung die Handys in kostenlos zur Verfügung gestellten Taschen zu verschließen. Nur in einem ausgewiesenen Handy-Bereich in der Lobby dürfen die auf ihr Gerät zugreifen, die nicht gänzlich auf ihr Gerät verzichten können. Wie das praktisch aussieht, erzählte mir das Lincoln Center-Team: Zusammen mit Yondr-Mitarbeitern verteilen die Angestellten in der Halle die Taschen an die Besucher und beantworten Fragen.

»Wir hoffen, dass jeder Besucher das Angebot annehmen wird, aber natürlich können sich die, die sich unwohl fühlen, auch dazu entscheiden, ihr Handy schlicht auszuschalten.«

Abgesehen von der Lösung, Leute zu durchsuchen und die Smartphones zu konfiszieren, erscheint mir das ein guter, effektiver Weg. Jetzt warte ich mit angehaltenem Atem, wie es funktionieren wird, und ob andere Konzertsäle und Festivals diesem Beispiel folgen. ¶

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