Enthüllungen und Entwicklungen

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Charlotte Gardner
Charlotte Gardner
03.03.2021

Der Frühling liegt in der Luft. Zum ersten Mal seit einer ganzen Weile scheint es nicht völlig unsinnig anzunehmen, dass wir endlich kurz davor sind, das Corona-Elend des letzten Jahres hinter uns zu lassen. Es ist sicherlich nicht nur die Glas-Halb-Voll-Gardner, die so denkt, denn ich habe auch einige Stimmen aus Gesprächen mit Leuten aus der Musikwelt auf mich wirken lassen – seien es junge Künstler*innen, die sich mit aktuellen Projektplänen und Vorbereitungen für anstehende Wettbewerbe bei mir gemeldet haben, etablierte Musiker*innen, die aufgeregt von neuen Prioritäten und Einsichten erzählen, oder Sommerfestivals, die plötzlich nicht mehr von einem „falls” sondern einem „wenn” sprechen. Es ist wunderbar.

Wer diese Kolumne regelmäßig verfolgt, weiß, dass ich einige meiner Beiträge im letzten Jahr dem Nachdenken darüber gewidmet habe, wie die Welt der klassischen Musik nach Corona aussehen könnte, was das allgemeine Kultur-Klima, aber auch neue Konzertformate angeht. Eine Sache, die mir zu der Zeit jedoch nicht in den Sinn kam, war die Herzensmusik der auf die Bühne zurückkehrenden Künstler*innen selbst. Ich habe den Eindruck, dass der Reset-Knopf auf spannende Art und Weise gedrückt wird – und das ist für mich enorm aufregend. Das gilt natürlich nicht für alle – ich habe mit jungen Musiker*innen gesprochen, die gerade am Beginn ihrer Karriere stehen und nicht wissen, ob und wie sie sich überhaupt wieder zurückkämpfen können, und ich habe auch das Gefühl, dass hochkarätige Künstler*innen nach dieser Achterbahnfahrt teilweise nicht mehr genau wissen wer sie sind – und was sie als nächstes tun sollen.

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Wie geht es weiter?

(Foto: Pixabay)

Dennoch kann ich nicht anders, als die guten Entwicklungen als Auftrieb zu nutzen und zu hoffen, dass eine Atmosphäre entsteht, die denjenigen wieder auf die Beine hilft, die am meisten durchmachen mussten. Ein Gespräch hat mich besonders beeindruckt, mit einem Künstler, der seit Jahrzehnten als Solist im Geschäft ist. Er erzählte mir, wie er den Beginn des Lockdowns nutzen wollte, um ein bestimmtes, technisch anspruchsvolles Konzert zu lernen, das bislang nicht zu seinem Repertoire gezählt hatte. Also machte er sich an die Arbeit, realisierte aber nach einer Weile, dass dieses Konzert, bei aller Wertschätzung, nicht seine Musik ist. Ihn sprach ein ganz anderer, entlegener Teil des Repertoires an, der genauso gute Musik ist – aber völlig vernachlässigt wird, da aus der Mode gekommen. Jetzt gerade, wo er am Höhepunkt seiner technischen Fähigkeiten steht, bereitet es ihm viel mehr Freude und künstlerische Befriedigung, den etablierten Kanon einfach links liegen zu lassen und diese unterschätzte Musik der Öffentlichkeit in ganzer Frische zu präsentieren. Er erzählte mir davon mit so viel Ruhe und Wohlbefinden, dass ich mich genauso darüber freuen musste. Einmal wegen der Aussicht, meine eigenen Vorurteile zu überwinden, aber vor allem, weil mir klar wurde, dass manche der größten Musiker*innen der Welt nach einem Jahr abseits der Rennstrecke ein neues Selbstverständnis und Ideen gefunden haben, wie sie den Rest ihrer Karriere nutzen können. Es sind die Anfänge einer Spielplan-Revolution.

Natürlich haben wir bis dahin noch ein Stück Weg vor uns. Ja, ich schreibe diese Kolumne aus London, wo immer noch kompletter Lockdown herrscht. Aber freue ich mich? Darauf können Sie wetten. ¶

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