THE SOCIETY OF MUSIC: 23. Oktober 2019

Poor Britannia!

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Benedikt Stampa
Benedikt Stampa
23.10.2019

Nun aber endlich. Großbritannien biegt in die Zielgerade. Weg von Europa. Auf dem schnellsten Weg. Zum bestimmt einhundertsten Mal spielt das britische Parlament das Endgame. Heute wird die Entscheidung zum Austritt sicher gefällt. Es gibt doch jetzt nur noch diese eine Lösung. Boris Johnson atmet tief durch, Europa mit ihm und viele direkt betroffene Menschen auch. Sein Taktikspiel muss doch jetzt endlich aufgehen. Dann kommt am Wochenende wieder alles anders. Irgendein Abgeordneter hat wieder einen neuen Pfeil der Verzögerung im Köcher. Im Parlament steht eine Abstimmung an. Es entscheidet sich für einen neuen Aufschub. Alles von vorn.

Eine Katastrophe für alle Beteiligten, ob Brexiteer oder Remainer, ob in Europa oder Großbritannien. Auch für die Kulturszene ist dieses ewige Hin-und her verheerend. Eine kleine, nicht repräsentative Umfrage unter meinen Kollegen vom Festland hat ergeben, dass keiner so genau weiß, wie es nach dem Brexit (irgendwann) weitergeht. Offene Fragen allerorten. Wird es eine Formularflut geben, werden Engagement von Künstlern und Orchestern an Zollschranken scheitern, werden die Honorare teurer werden? Oder gibt es ganz andere bisher nicht bekannte bürokratische Hindernisse, die den Austausch zwischen EU und GB behindern werden?

Brexit

Um Leave oder Remain geht es längst nicht mehr – die Frage ist: wie?

Bislang machen die meisten von uns so weiter wie bisher. Man fragt Orchester in London oder Birmingham an, spricht mit den großen englischen Konzertagenturen über Künstlerverpflichtungen für die nächsten Jahre, als ob sich nichts ändern würde und plant Tourneen wie immer. Und fragt man bei den Kollegen auf der Insel nach, erntet man meistens ein Schulterzucken. Let’s see.

Aber es gibt auch Ausnahmen. Vor wenigen Tagen verkündete das renommierte Chamber Orchestra of Europe mit Sitz in London, eine Dependance auf dem europäischen Festland gründen zu wollen. Die lapidare Begründung im Pressetext lautete:

»Aufgrund der anhaltenden Ungewissheiten, die durch die Brexit-Verhandlungen verursacht wurden, plant das Chamber Orchestra of Europe, eine unabhängige Stiftung in Deutschland zu gründen. Diese soll es dem Ensemble ermöglichen, in Deutschland und anderswo in der Europäischen Union auch in post-Brexit-Zeiten effizient arbeiten zu können.«

Damit hat erstmals ein Ensemble die Konsequenzen gezogen und Nägel mit Köpfen gemacht. Man kann sicher sein, dass sobald sich die Nebel des Brexit endlich gelichtet haben, noch andere Künstler, Ensembles und Agenturen folgen werden. Dann aber überstürzt.

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