Vor wenigen Tagen ging die Nachricht um die Welt, dass Anna Netrebko an Covid-19 erkrankt sei. Sie sei mit einer Lungenentzündung ins Krankenhaus gebracht worden, befinde sich nach eigenen Angaben aber schon wieder auf dem Weg der Besserung.
Noch eine Woche zuvor sollte die Starsopranistin in Baden-Baden auftreten. Dass es dazu nicht kam, lag an der schwierigen Gesamtlage in Russland. Bis wenige Tage vor dem Konzert war nicht gewiss, ob Anna Netrebko überhaupt ausreisen durfte. Wir haben vorsorglich (zum Glück) das Konzert abgesagt. Schweren Herzens. Das Beispiel zeigt: die Situation ist für Veranstalter nicht nur klassischer Konzerte wie auch der Künstler nach wie vor extrem volatil. So weiß die Pianistin Yuja Wang nicht, ob sie im Herbst für Konzerte aus New York nach Europa fliegen kann bzw. ob sie überhaupt will. Und die Metropolitan Opera schließt ihre Pforten nun bis zum Ende der Saison 2020/2021. Die Sächsische Staatskapelle hat ihr Gastspiel im Wiener Musikverein aufgrund steigender Corona-Fallzahlen kurzfristig abgesagt.
Die Infektionen auch in Europa steigen wieder an. Und dennoch beginnt die Saison in den Konzertsälen und Opernhäuser. Maximale Unsicherheit der Pandemie-Umstände trifft auf die mit maximaler Sicherheitsvorsorge aufgerüstete Wiedereröffnung der Säle. Eine fast paradoxe Situation.
Paradox. Und niemand kennt den Königsweg.
Die Verantwortlichen müssen mit den Gegebenheiten umgehen und – so gut wie es eben geht – planen. Umfangreiche Hygienepläne werden erstellt, das Publikum umfassend informiert. Die Häuser gehen dazu über, ihre Informationen viel kurzfristiger zu veröffentlichen. Alle stellen sich auf die Situation ein. Aber jeden Tag kann etwas passieren, was ein Konzert unmöglich macht.
So lernen wir alle zu improvisieren. Eine Eigenschaft, die unserer Branche in den letzten Jahrzehnten immer mehr abging. Es wurde möglichst langfristig geplant, das große Schwungrad der Klassik mit viel Aufwand in Gang gehalten. Spontanität gab es nur noch bei den Zugaben nach den Konzerten und auch da nur nach Ansage. Corona macht uns alle nervös. Das ist nicht zu leugnen. Aber es lehrt uns auch, mit den Dingen, die wir nicht beeinflussen können, spontaner umzugehen. Das gibt mir, trotz aller Probleme, Motivation und auch ein Stück Gelassenheit wenn nicht gar Fatalismus. Es muss ja nicht gleich so enden wie bei Hans von Bülow, der an einer Tafel an seinem Haus in Baden-Baden folgenden Satz anbringen ließ:
»Morgens nicht zu sprechen – Nachmittags nicht zuhause« ¶