Einst war er ihr Klavierlehrer: Antonin Dvořák unterrichtete als junger Mann die sechzehnjährige Josefina Čermáková – und verliebte sich in sie. Josefina heiratete dann aber den böhmischen Grafen Wenzel Robert von Kaunitz, und Dvořák machte es wie vor ihm Haydn und Mozart: Er nahm die Schwester Josefinas zur Frau, die fünf Jahre jüngere Anna. Wir dürfen davon ausgehen, dass die ganz große Liebe nur einmal in dieselbe Familie fällt – Dvořák hat seine Josefina nie vergessen. Vielleicht hatte er die Ehe mit Anna auch mit dem Hintergedanken geschlossen, ihr dadurch immer nahe zu bleiben – ein Plan, der aufging. Josefina muss eine bemerkenswerte Frau gewesen sein. Fotografien zeigen sie mit kaum gebändigter Lockenmähne und selbstbewusstem Gesichtsausdruck. Schon mit fünfzehn Jahren war sie Schauspielerin am Prager Theater, Dvořák saß dort als Bratschist im Orchester.
Für Josefina Čermáková schrieb Dvořák im Jahr ihres Kennenlernens den Liederzyklus Zypressen, den er später in ein Streichquartett umwandelte. Josefinas Herz konnte er mit diesen romantischen Stimmungsbildern offenbar nicht gewinnen, aber wer weiß? Josefina hatte später ein anderes Lieblingslied: Lasst mich allein in meinen Träumen aus Dvořáks opus 82, ein Lied über heimliche Liebe – aus der Perspektive einer Frau.
»Laßt mich allein in meinen Träumen geh'n,
stört mir die Wollust nicht in meinem Herzen,
laßt mir die Wonne all', laßt mir die Schmerzen,
die mich erfüllen, seit ich ihn gesehn'n!«
Als Dvořák in New York lebte, wurde Josefina schwer krank. Dvořák arbeitete zu dieser Zeit an seinem zweiten Cellokonzert, dem berühmten. Die Melodie von Lasst mich allein baute er in den langsamen Satz ein. Als die Schwägerin am 27. Mai 1895 mit nur 46 Jahren starb, schrieb er das Finale um. Auch hier taucht das Lied auf, und es verleiht dem Schluss des Konzerts eine ganz eigene Dramatik: Kurz vor dem Ende (in unserer Aufnahme bei 11’07) stimmt die Solovioline Lasst mich allein an, das Cello übernimmt in hoher Lage und überführt die Melodie in einen wehmütigen Abgesang, der allmählich erstirbt und dem nur noch ein kurzes Aufbäumen des Orchesters folgt.
Diesen – für ein romantisches Konzert ziemlich ungewöhnlichen – Schluss hat Dvořák mit Zähnen und Klauen verteidigt, gegen alle Versuche des Cellisten und Widmungsträgers Hanus Wihan, noch eine schmissige Kadenz einzubauen. An seinen Verleger Simrock schrieb er:
»Ich muss darauf bestehen, dass mein Werk so gedruckt wird wie ich es geschrieben habe. Überhaupt gebe ich Ihnen das Werk nur dann, wenn Sie sich verpflichten, dass niemand Änderungen macht. Also auch keine Kadenz im letzten Satz. Das Finale schließt allmählich diminuendo – wie ein Hauch – mit Reminiszenz an den ersten und zweiten Satz. Das Solo klingt aus bis zum pianissimo. Dann ein Aufschwellen und das Orchester schließt im stürmischen Ton. Das war so meine Idee und von der kann ich nicht ablassen.« ¶