Als Marcel Dupré am dritten Mai 1886 in Rouen das Licht der Welt erblickt, scheint seine musikalische Laufbahn schon vorprogrammiert. Die Mutter ist Pianistin, der Vater Musiklehrer und Organist. Großvater: Auch Organist. Dessen Freund ist der legendäre Orgelbauer Artistide Cavaillé-Coll, und er baut der Familie Dupré mit ihrem begabten Sprössling bald eine eigene Orgel in den großen Musiksalon.
Marcel Dupré wächst behütet und gefördert auf, und seine Karriere außerhalb der hauseigenen Manuale beginnt früh: mit sechzehn Jahren nimmt er Klavier- und Orgelstudien am Pariser Konservatorium auf, 1914 erhält er den renommierten Prix de Rome.
Den prestigeträchtigen Posten seines Lehrers und Vorgängers Charles-Marie Widor als Organist der Kirche Saint-Sulpice, in der die Crème de la Crème von ganz Paris zum sonntäglichen Schaulaufen erscheint, tritt Marcel Dupré 1934 an. Da leitet er bereits seit acht Jahren die Orgelklasse am Pariser Konservatorium.
Duprés Faszination für die 'Königin der Instrumente’ spiegelt sich auch in einer regen Publikationstätigkeit wider: Er veröffentlicht musikpädagogische Schriften und Lehrbücher zum Orgelspiel, schreibt über Möglichkeiten der Interpretation von Bach, Mozart, Schumann und César Franck. Weltberühmt machen ihn schließlich Konzertreisen in die USA, Kanada und Australien, auf denen er seine geniale Improvisationsgabe und Virtuosität unter Beweis stellt.
Dupré war auch Bachspezialist, in Paris führt er sämtliche Orgelwerke Bachs in zehn Konzerten auswendig auf.
Ein bewunderter Virtuose, ein weltberühmter Komponist, eine geachtete Pariser Persönlichkeit – doch Marcel Dupré prägt das Orgelfach noch darüber hinaus: er trägt maßgeblich dazu bei, dass das improvisierende Spiel, das in Frankreich schon lange zum Standard der Ausbildung auf der Orgel gehört, sich zu einer stilbildenden Praxis entwickelt. Seine bestimmte und kraftvolle Spielweise machen ihn bis heute zum verehrten Vorbild, und seine Kompositionen, die zwischen monumentalem Klanggebilden und einfühlsamen, meditativen musikalischen Spaziergängen changieren, werden zumindest von Kennern geschätzt.
Hier spielt die Tochter mit: Marguérite Dupré interpretiert die Ballade für Klavier und Orgel ihres Vaters Marcel Dupré.
Vier Jahre vor seinem Tod 1971 wurde Marcel Dupré in einem Interview gefragt, ob es auch Tage gäbe, an denen die Inspiration nicht kommen wolle, an denen selbst ihm das Improvisieren schwer fiele. Dupré antwortete, diese Tage gäbe es schon, doch auf Musiker mache die „Schönheit des Instruments“ viel Eindruck – und die Freude „eine schöne Orgel in einem großen Gebäude“ zu spielen, das sei „eine Art Rausch“. ¶