Es ist der 6. Oktober 1600. König Heinrich der IV. von Frankreich heiratet die 20 Jahre jüngere Maria von Medici – ein wohl eher wirtschaftlich-politischer Vertrag, als eine romantische Liebesgeschichte. Doch wie es sich so gehörte, wurde trotzdem prunkvoll gefeiert: Man wollte schließlich die große Freude – und vor allem sich selbst – zum Ausdruck bringen. Ganze zehn Tage lang.
Bei solch einer Feier musste das Publikum natürlich unterhalten werden und so entstand: Die erste Oper überhaupt. Nein, es ist nicht Claudio Monteverdis Orfeo – entgegen der landläufigen Meinung. Sein Orfeo ist das wohl erste große Meisterwerk der damals jungen Gattung. Doch die wahrhaftig Erste entstand 1600 in Florenz, uraufgeführt bei eben dieser pompösen Hochzeit. Jacopo Peri, Sänger und Organist, der seit 1587 in Diensten der Medici stand, führte hier als Begleitprogramm seine favola drammatica auf: L’Euridice. Doch die Uraufführung der ersten Oper wurde sabotiert.
Giulio Caccini, erster Opern-Saboteur der Musikgeschichte und ebenfalls Komponist, schrieb gleichzeitig an einer Oper zum Orpheus und Eurydike-Stoff. Auch er griff auf das Libretto von Ottavio Rinuccini zurück. Einige der von Peri für die Aufführung engagierten Sänger und Sängerinnen gehörten zur Entourage Caccinis – ein großer Fehler. Intrigant Caccini wies sie an, Teile aus seiner eigenen Fassung zu singen. Somit erklang die erste Oper der Musikgeschichte als ein ungewolltes Hybridwerk zweier verfeindeter Komponisten. Doch damit nicht genug: Caccini beeilte sich, seine Oper danach als erster in den Druck zu geben, um seinen Konkurrenten noch einmal auszustechen. Peri blieb nichts anderes übrig, als im Vorwort seiner L’Euridice gedemütigt zu beteuern, dass sie zum Zeitpunkt der Uraufführung schon fertig gestellt gewesen sei.
"Al canto al ballo" aus Jacopo Peris Oper "Euridice"
Noch etwas anderes, viel wichtigeres verkündet Peri in seinem Vorwort:
»Ich kam zu der Überzeugung, dass in der dramatischen Poesie die gesprochene Rede durch den Gesang nachgeahmt werden müsse, und dass schon die alten Griechen und Römer ihre Tragödien auf der Bühne singend vorgetragen haben. Daher ließ auch ich jede andere bisher gehörte Gesangsart beiseite und suchte nach einem Stil, der die Dichtung in gebührender Weise nachahmt.«
Diese Sätze bedeuten nichts weniger als die Erfindung dessen, was heute als Rezitativ bekannt ist. Der Rückgriff auf das Ideal der alten Griechen kam nicht von ungefähr, bedeutet doch die Renaissance eine Wiedergeburt, nämlich die der Antike. Auch wenn Caccini und Peri zeitlebens Konkurrenten waren, vereint sie, dass sie beide der Florentiner Camerata angehörten: Eine Gruppe von Dichtern, Musikern und Philosophen, die sich Ende des 16. Jahrhunderts am Hofe der Medici trafen, um über die Kunst zu sinnieren. In ihrem Dunstkreis entstand der Stile nuovo, bei dem nur ein Sänger deklamatorisch vorträgt und damit klar zu verstehen ist. Der kompositorische Wettstreit um die erste Oper der Geschichte hat die Entwicklung der Gattung entschieden vorangetrieben. ¶