Musikgeschichten: 8. März (1983)

Das brutale Ende eines genialen Querkopfs

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Malte Hemmerich
Malte Hemmerich
08.03.2018

Er war kurz davor auch in Europa zu einem der Großen aufzusteigen. Nicht wenige Musikkenner sind der Meinung, dass, wenn Claude Vivier nur einiges älter geworden wäre, er heute noch zu den wichtigsten Komponisten des 20. Jahrhunderts zählen würde. Zu genial und unnachahmlich sind seine Werke, voller emotionaler Wucht und gleichzeitig mit echtem Gespür für die Übernahme außereuropäischer Einflüsse. Die Aura des Geheimnisvollen umwabert seine Werke, wie auch sein Leben. Für großes Orchester schrieb er wenig, aber wenn dann sehr eindrucksvoll.

Das Stück Orion aus dem Jahr 1979

1982 übersiedelte Vivier aus seiner Heimat Kanada nach Paris. Erzählungen nach plante er dort eine Oper über Peter Tschaikowsky zu komponieren. Am 12. März im Jahr darauf findet man den erstochenen Vivier in seiner Wohnung, der Todeszeitpunkt wird irgendwo zwischen 7. und 8. März festgelegt. Gerade schrieb er an dem Stück „Glaubst Du an die Unsterblichkeit der Seele?": Das Werk handelt, befremdlich prophetisch, von einem gewissen Claude, der durch das nächtliche Paris irrt und in der Metro auf einen Fremden trifft. Dieser greift ihn mit einem Messer an.

I answered him that my name was Claude then without further introductions he took out a knife from his dark black vest that he probably bought in Paris and stabbed me right in the heart.

 

Text aus Viviers letztem Werk

An dieser Stelle endet die Skizze Viviers abrupt, denn er selbst bekam das Messer ins Herz. Von einem Prostituierten, den der Komponist am Abend in einer Bar kennengelernt hatte. Vivier war im Stricher- und auch im Sadomaso-Milieu kein Unbekannter, einige Wochen zuvor soll ihn ein Liebhaber im Eifer des Gefechts mit einer Schere in den Nacken gestochen haben.

Als Kind unbekannter Eltern wuchs Vivier als Waise auf, wurde, als er seine Homosexualität entdeckte aus dem Priesterseminar geworfen und startete eine raketenhafte Musiklaufbahn. Nach Studien bei Stockhausen in Köln bereiste er ferne Länder immer auf der Suche nach Inspiration für seine Musik.
Seine Werke haben stets etwas Suchendes, Verarbeitendes, manchmal ist ganz deutlich das autobiographische Element erkennbar.

Als im Oktober der 20-jährige Prostituierte Pascal Dolzan als Mörder Viviers gefasst und verurteilt wird, hat dieser bereits zwei weitere Freier erstochen. Das Motiv ist langweilig und ganz und gar unmystisch: Geld. ¶

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