37 Jahre alt, Mutter von acht Kindern, eines davon nach sechzehn Monaten verstorben, verheiratet mit einem Mann, der seit über zwei Jahren in der geschlossenen Anstalt lebt. Sie hat ihn vor zwei Tagen, am 27., das erste Mal seit seiner Einlieferung gesehen – das letzte Mal vor seinem Tod. Robert Schumann stirbt am 29. Juli gegen 16 Uhr bei Bonn in der Anstalt.
Für Clara bedeutet der Tod des Ehemanns Veränderung auf nahezu jeder Lebensebene. Mit dem Ende der Ehe liegt die Versorgung der Familie jetzt vollends bei ihr. Der jüngste Sohn ist gerade mal zwei Jahre alt, die älteste Tochter, Marie, fünfzehn. Die kümmert sich jetzt verstärkt um ihre jüngeren Geschwister und wird in den kommenden Jahren Claras Sekretärin, ihre Reisebegleiterin und Assistentin. Gemanagt von der Tochter, schuftet die alleinstehende Mutter für den Neuanfang ihrer Pianistinnen-Karriere. Bis zur Heirat mit Robert 1840 hatte sie es bereits fast zum ganz großen internationalen Durchbruch geschafft. Nur für ihn hatte sie dann ihre Ambitionen immer stärker zurückgestellt. Ohne ihn aber muss sie wieder alles auf ihr Talent setzen.
Auch auf anderer Ebene bedeutet Roberts Tod eine Umstellung. Der Kollege Johannes Brahms, der sich in die Tastenvirtuosin schwer verliebt hatte, bekommt das zu spüren. Was, wie viel und wie intensiv es zwischen Clara und Johannes ablief, können wir nur ahnen. Beide haben versucht, es möglichst effektiv vor der Nachwelt zu verheimlichen. Doch Briefe zeigen, dass sie nach Roberts Einweisung eine Zeit lang zusammen in Düsseldorf wohnten, dass sich der etwa zwanzig Jahre alte Brahms gegen den Willen seiner Mutter fürsorglich um Schumanns Haus und Kinder kümmerte und dass er wohl nie wirklich aufgehört hat, Clara zu lieben. Doch nach den Geschehnissen des 29. Juli nehmen die zwei Abstand voneinander, wenn sie auch freundschaftlich miteinander verbunden bleiben. In den folgenden vierzig Jahren ihres Lebens wird Clara nicht mehr erwägen, erneut zu heiraten.
In dieser Zeit gelingt es ihr allerdings, noch einmal richtig erfolgreich zu werden. Schon in den wenigen Jahren nach Roberts Tod erlangt sie finanzielle Unabhängigkeit. Und in über dreißig weiteren Jahren tourt sie durch ganz Europa – gefeiert für ihre Deutlichkeit, ihre rhythmische Präzision und die Genauigkeit ihrer Interpretationen. ¶