Musikgeschichten: 1. Juli (1820)

Beethovens busige Betrügerin

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Bennet Seiger
Bennet Seiger
01.07.2022

»Am 1. Juli die Küchenmagd eingetreten.«

Was für eine banale Information. Am 1. Juli 1820 stellt Ludwig van Beethoven eine neue Küchenmagd ein. Das wissen wir, weil er solche Geschehnisse akribisch in seinem Tagebuch festgehalten hat. Durch diese Aufzeichnungen, zusammen mit Berichten von Freunden und Bekannten, Beethovens Briefen und spätere Konversationsbüchern, bekommt man ein recht gutes Bild vom Menschen Beethoven: Launisch, herrisch, cholerisch. Nicht schön, und bestimmt waren das nicht seine einzigen Charakterzüge – aber auch nicht unwahr, wenn man sich die Angestelltenfluktuation im Hause Beethoven genauer ansieht.

Jean Baptiste Simeon Chardin Hausangestellte 16 9

Hatten es bei Beethoven nicht leicht: Hausangestellte.

(Foto: Public Domain)

Die hatte einen einfachen Grund: Mit ihm zu leben war schwierig, für ihn zu arbeiten unmöglich. Liest man Berichte von Besuchern, bleibt von Beethoven das Bild eines Messies: Umherfliegende Kleidung, Weinflecken, Staub, Schmutz. Flügel, die ohne Beine und umgestürzt in der Wohnung liegen; Notenpapier in Massen und ohne Ordnung. Räumte denn da niemand auf? Die Hausangestellten hätten es sicher gern getan, aber der Tyrann machte ihnen das Leben schwer. Für ihn gehörten sie zu den „niedern Menschen“ – für die er vor allem Argwohn übrig hatte. Das wurde umso schlimmer, als ihn sein Gehör nach und nach verließ: Er hatte Angst, bestohlen, hintergangen und verhöhnt zu werden. Dazu schreibt er 1818 an seine Freundin Nannette Streicher:

»Die Fräulein Nanny ist ganz umgewandelt, seit ich ihr das halbdutzend Bücher an den Kopf geworfen. Es ist wahrscheinlich durch Zufall etwas davon in ihr Gehirn oder schlechtes Herz geraten. Wenigstens haben wir eine busige Betrügerin.«

Man kann nur erahnen, wie das Leben im Hause Beethoven war. Anton Schindler, Sekretär und späterer erster Beethoven-Biograph, berichtet von seltsamen Entwicklungen: er habe ihn in „schmutzigen Nachtkleidern auf einem zerstörten Bette liegend gefunden“, ein Buch in der Hand. Am Kopfende des Bettes befand sich eine kleine Tür, dahinter die Speisekammer. Beethoven bewachte sie also: „Denn als in der Folge eine Magd mit Butter und Eiern heraustrat, konnte er sich doch nicht enthalten, einen prüfenden Blick auf die Quantitäten zu werfen.“ Eine andere Schilderung einer befreundeten Familie erzählt davon, wie eine Köchin eine Seite des Missa Solemnis-Manuskripts als Einwickelpapier für Butter und Käse benutzt hatte, woraufhin Beethoven sie hinauswarf. Wir finden das richtig, in diesem Fall zumindest.

Kein gutes Einwickelpapier: Das Kyrie aus Beethovens “Missa Solemnis”.

Nur eine Angestellte hielt die wüsten Beschimpfungen und Unterstellungen jahrelang aus: Frau Schnaps, wie Beethoven sie nannte, oder auch einfach „die Alte“. Sie prophezeite, dass es keine sonst bei ihm aushalten werde – und hatte Recht. Von April bis Dezember 1820 stellte Beethoven nacheinander sieben Hausmädchen ein, sieben davon liefen fort oder wurden hinausgeworfen. Den Namen des Hausmädchens vom 1. Juli kennen wir nicht, nur ihr Schicksal:

»Am 28. Juli abends ist die Küchenmagd entflohen.« ¶

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