Fakten sind oft langweilig. Und während das Verzichten auf ebensolche in der politischen Welt heute immer mehr für ungläubiges Kopfschütteln sorgt, konnte die Entertainment-Branche schon immer unbeschwerter mit der Wahrheit umgehen. Besonders wenn sich ihre Protagonisten und deren Nachkommen nicht mehr wehren können.
Am 26. Oktober 1984 läuft in Deutschland der Film Amadeus von Regisseur Miloš Forman an, der immerhin schon Kritikerlieblinge wie Einer flog übers Kuckucksnest zu verantworten hatte. Und jetzt ein Historien-Musikfilm: Millionen Besucher strömen in die Kinos um sich das Leben des wohl berühmtesten klassischen Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart anzusehen, mit 52 Millionen US-Dollar ist er auch finanziell unter den 15 erfolgreichsten Filmen des Jahres. Klassik ist in diesem Jahr 1984 keine Nische mehr. Wie hat das funktioniert?
Tom Hulce als überdrehtes Wolferl.
Höchstwahrscheinlich vor allem, weil man einen hollywoodtauglichen Konflikt mit Gegenspieler entwickelte. Bereits im Theaterstück von Peter Shaffer, auf dem der Film basiert, ist das der Fall. Mozarts Leben wird aus der Sicht Antonio Salieris erzählt, Mozarts vermeintlichen Feind und Widersacher. Dass Salieri zu seiner Zeit meist erfolgreicher und deshalb wohl nicht so neidisch auf Mozart blickte, geschenkt. Aber die Aussage, dass er Mozart zu vergiften versuchte, ist dann fast schon Rufmord. Mozarts Schüler Süssmayr, der eigentliche Helfer bei Mozarts letzten Requiem-Anstrengungen, wird auch wieder durch Salieri ersetzt. Künstlerische Freiheit und dramatische Zuspitzung auf Antagonist und Protagonist.
Denn selbst das ereignisreiche Leben des so umtriebigen Wolfgang Amadé muss für ein Massenpublikum noch aufpoliert werden. Man will sich garnicht vorstellen, wie viele Drehbuchschreiber es bräuchte, um beispielsweise das betuliche Leipziger Leben eines Mendelssohn-Bartholdy auf die Hochglanzleinwand zu bringen. Aber genug gemeckert: Amadeus brachte auch viel Gutes. Zum Beispiel volle Konzentration auf die Wirkung und Besonderheiten der Mozart’schen Musik.
Noch allein Mozarts Werk: Der erste Teil des “Requiems”
Seit Amadeus konnte wohl kein Film mit dem Thema Klassische Musik und Komponisten in ähnliche Erfolgsdimensionen vordringen. Die Kritiker und Oscar-Jury scheinen übrigens keine Süssmayr-Anwälte gewesen zu sein. Der Film wurde gefeiert und ausgezeichnet, nicht als Biopic, sondern als unterhaltsamer, freier Mozart-Film und das ist ja auch in Ordnung.
Schönes Detail: Bei der Oscar-Verleihung musste sich Tom Hulces Mozart dem Salieri von Fahrid Murray Abraham geschlagen geben. Vielleicht ist es eben einfacher, den Bösen zu spielen, als das Genie. ¶